Der junge Kolumbianer Juan ist seit 2014 in Österreich, arbeitet, zahlt Steuern und spricht fließend Deutsch. Doch wie viele andere Menschen auch, ist er vom demokratischen Leben ausgeschlossen. Denn er hat keine österreichische Staatsbürgerschaft.
Österreicher:in zu werden, ist schwer. Für manche sogar unmöglich. Beim Migrant Integration Policy Index belegt Österreich den drittletzten Platz. Nur in den Vereinigten Arabischen Emirate und in Saudi-Arabien ist es noch schwerer, die Staatsbürgerschaft zu bekommen.
Juan weiß das aus eigener Erfahrung. Er ist 26, im kolumbianischen Cali geboren und lebt seit 2014 in Österreich. Erst in zwei Jahren könnte er das erste Mal um die Staatsbürgerschaft ansuchen. Bis dahin ist er bei keiner Wahl stimmberechtigt.
Zehn Jahre rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt
Um die österreichische Staatsbürgerschaft zu bekommen, müssen Menschen aus Drittstaaten zehn Jahre rechtmäßig in Österreich wohnen. In nur wenigen anderen Ländern ist der geforderte Aufenthalt ähnlich lang. Für Bürger:innen aus anderen EU-Ländern und den EWR-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein sind es immerhin sechs Jahre.
Und das ist nicht die einzige Hürde. Anwärter:innen dürfen sich in dieser Zeit nicht länger als 20 Prozent der Zeit im Ausland aufhalten. Wer für längere Zeit Österreich verlässt, um etwa enge Familienangehörige im Heimatland zu pflegen, steht schnell vor einem Problem. Die Behörde addiert bei der Berechnung jeden einzelnen Auslandsurlaub und jede Dienstreise. Überschreitet man die 20 Prozent, fangen die zehn bzw. sechs Jahre wieder von vorne an.
Land der Berge, Land der Bürokratie
Juan kommt mit Matura im Gebäck nach Österreich. Damals ist er 17. Sein Vater ist schon seit 2000 hier und ermöglicht ihm einen schnellen Einstieg in Österreich. Nach einem Jahr spricht er dank mehrerer Sprachkurse fließend Deutsch. Juan will an die Uni in Wien und Dolmetscher werden. Doch die österreichische Bürokratie macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Ohne gleichzeitige Inskription an einer kolumbianischen Universität sei ein Studium nicht möglich, sagt man ihm. Also schiebt er seine Studienpläne nach hinten und versucht sein Glück am Arbeitsmarkt. Dank seiner Deutschkenntnisse findet er einen Job als Catering-Mitarbeiter.
Heute arbeitet Juan 40 Stunden im Einzelhandel. Davon kann er trotz eigener Wohnung gut leben. Es bleibt genug übrig, um seiner Familie in Kolumbien monatlich eine kleine Summe zu überweisen. Für eine österreichische Staatsbürgerschaft reicht das Einkommen nicht.
Zu arm, um wählen zu dürfen
Österreich verlangt von Anwerber:innen einen „hinreichend gesicherten Lebensunterhalt“. Der Betrag orientiert sich am Richtsatz im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz. Bei Einzelpersonen liegt der Wert derzeit bei 1.030,49 Euro.
Damit meint die Behörde allerdings nicht das Netto-Einkommen. Erst wenn nach dem Bezahlen von Miete, Unterhalt und etwaigen Kreditraten mehr als 1.030 Euro übrig bleiben, reicht das für die Staatsbürgerschaft. Diese Summe müssen Anwerber:innen allerdings nicht nur zum Zeitpunkt des Antrags nachweisen, sondern 36 Monate innerhalb der letzten sechs Jahre. Das geht sich für Juan und viele andere Menschen nicht aus. Denn: Menschen ohne Staatsbürgerschaft arbeiten oft in systemrelevanten, aber schlecht bezahlten Berufen.
Hinzu kommen noch hohe Gebühren. Je nach Bundesland summieren sich die Kosten auf bis zu 2.500 Euro. Besonders ältere Menschen verzichten wegen dieser Kosten auf den Antrag. So auch Juans Vater. Er ist 63. In seinem Alter „zahle es sich gar nicht mehr aus“ so viel Geld für die Einbürgerung auszugeben.
„Ob man wählen darf oder nicht, sollte keine Frage des Geldes sein.“
Juan findet es ungerecht, dass Geld darüber entscheidet, wer wählen darf und wer nicht. 2022 leben fast 1,6 Millionen Menschen in Österreich, die keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Das ist jeder Fünfte. Wie viele gerne Staatsbürger:in werden würden, aber an den Hürden scheitern? Darüber gibt es keine Statistiken.
Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen spricht sich in einem Interview mit Kleiner Zeitung und Presse dafür aus, Einbürgerungen zu erleichtern. Die Hürden seien derzeit „zu hoch“.
Solange das Recht zu wählen an die Staatsbürgerschaft geknüpft ist, sind viele Menschen vom demokratischen Leben ausgeschlossen. Sie haben keine Möglichkeit, ihre Bedürfnisse und Standpunkte auf demokratischem Weg einzubringen. Das widerspricht der Idee einer freien Demokratie.
Im Herzen Kolumbianer
Juan ist froh, hier zu leben. Das betont er mit Nachdruck. Er fühlt sich sicher in Wien. Ein Gefühl, dass er von den Straßen seiner Heimatstadt Cali nicht kennt. Würde er die österreichische Staatsbürgerschaft in zwei Jahren bekommen, müsste er seinen kolumbianischen Pass hergeben. Denn Doppelstaatsbürgerschaften akzeptiert Österreich nicht. Leicht würde das Juan nicht fallen. Aber er würde es tun. Weil Juan hier arbeiten und leben möchte. Aber vor allem: Weil er wählen möchte.
„Ich lebe hier! Ich bin auch ein Teil Österreichs. Warum sollte ich nicht auch eine Stimme haben?“ Ob er in zwei Jahren wirklich alle Voraussetzungen erfüllt, bezweifelt er. Aber versuchen möchte es Juan auf jeden Fall.
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