Während eine Hitzewelle über Europa rollt und uns spüren lässt, wie dringend wir gute Klimapolitik brauchen, muss Österreich die Kohlekraft wieder einsatzbereit machen. Zu groß ist die Furcht, im nächsten Winter in der Kälte zu sitzen.
Die russische Gazprom liefert seit Mitte Juni rund die Hälfte weniger Gas nach Österreich als vertraglich vereinbart. Der offizielle Grund: Technische Probleme. Natürlich handelt es sich bei den Gaskürzungen um „strategische Spielchen“ der russischen Führung. Russland zögert nicht, Energie als politisches Druckmittel einzusetzen.
Diese Entwicklung trifft Österreich zwar nicht unvorbereitet. Es gibt einen Gasnotfallplan und mit dem Gasdiversifizierungsgesetz einen Fahrplan raus der Abhängigkeit von russischem Gas. Aber Russland deckt ganze 80 Prozent des österreichischen Gasverbrauchs. Das zwingt die Regierung auch zu Kompromissen in Sachen Klimaschutz. Nach der Verschiebung der Co2-Bepreisung muss jetzt sogar ein Gaskraftwerk auf Kohlebetrieb umgerüstet werden.
Kohlekraftwerk für den Notfall
In einer Krisensitzung Mitte Juni beschließen Nehammer, Gewessler und Kocher das Kraftwerk im steirischen Mellach wieder auf den Betrieb mit Steinkohle umzurüsten. Mellach war das letzte Kohlekraftwerk Österreichs. Es wurde 2020 vom Netz genommen und auf den Betrieb mit Gas umgestellt. Dass die Regierung diese Entscheidung jetzt schon trifft, hat technische Gründe. Die Umrüstung braucht Zeit, die man nicht hat, wenn Putin plötzlich den Gashahn zudreht. Das wichtigste ist, Österreichs Haushalte und Industrie auch im Winter mit Gas versorgen zu können. Eine Umrüstung auf Kohle in Mellach ist daher eine notwendige Vorsichtsmaßnahme für den Notfall
Versorgungssicherheit trumpft Klimaschutz
Ob das Kraftwerk im Winter wirklich wieder Kohle verheizt, ist alles andere als sicher. Denn über diesen Schritt ist keiner der Beteiligten glücklich. Auch nicht der Stromanbieter Verbund, der das Kraftwerk betreibt. Zu hart hat man daran gearbeitet, aus der Kohle auszusteigen. Noch schmerzlicher ist der Kompromiss für die Grünen. War es doch genau jenes Kraftwerk in Mellach, wo Leonore Gewessler im Frühling 2020 das letzte Kohlestück Österreichs als Museumsexponat entgegengenommen hat. Sollte das Kraftwerk im Winter aber tatsächlich Kohle verheizen müssen, wäre das ein herber Rückschlag für Klimaschutz-Bemühungen Österreichs. Kohlekraft gilt als die klimaschädlichste Form der Energiegewinnung. Jede aus Steinkohle erzeugte Kilowattstunde Energie stößt rund doppelt so viel CO₂ aus wie eine Kilowattstunde aus Erdgas.
Die Lage ändert sich täglich
Die Reaktivierung von Mellach ist schädlich, aber alternativlos. Keiner kann sagen, was Wladimir Putin in den nächsten Monaten vorhat. Das sehen andere politische Lager ähnlich. Maria Kubitschek, Vizedirektorin der Arbeiterkammer, zeigt sich im Interview mit dem STANDARD besorgt: „Putin könne den Gashahn langsam oder schnell, teilweise oder ganz, im Sommer oder im Winter abdrehen – und so weiter.“ Daher hat die Bundesregierung kaum eine andere Wahl als alle Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die zur Hand sind. Zu groß ist die Gefahr, dass im Herbst das Gas ausgeht.
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