Vom Wert der Sortenvielfalt

Biotiger Michael Deutsch baut in Neusiedl am See 200 verschiedene Sorten Obst und Gemüse an. Vom traditionellen Neusiedler Wintersalat über Feigen bis hin zu exotischen Andenbeeren. Sortenvielfalt bringt nicht nur verschiedene Geschmäcker, sie ist auch für die Ernährungssicherheit wichtig.

Ständig raschelt es im Baum neben der Terrasse. Ein Vogel nach dem anderen fliegt hinein, versucht sein Glück. Es sind Stare, die es auf die Feigen abgesehen haben. Ein Gitter um den Baum soll verhindern, dass die Vögel an die reifen Früchte gelangen. „Da bleibt sonst nichts übrig“, erzählt Biotiger Michael Deutsch.

Auf rund 2.800 Quadratmetern treffen bei dem Neusiedler Bio-Landwirt exotische Pflanzen auf regionale und traditionelle Sorten. Er baut um die 200 verschiedenen Sorten an. Unter anderem die Feige. Sie ist eine Klimawandel-Gewinnerin. Ursprünglich stammt sie aus dem Mittelmeerraum. Durch die milden Winter in der Region rund um den Neusiedler See kann sie aber auch hier mittlerweile überleben. Deutsch will mit seiner Arbeit herausfinden, welche Pflanzen sich durch die veränderten Klimabedingungen im Burgenland wohlfühlen. Und es funktioniert. Der Feigenbaum im Garten von Deutsch trägt jedes Jahr reichlich Früchte. Das sind aber nicht die einzigen Exoten. Auf dem Feld hinter seinem Haus wachsen auch viele verschiedene Chilipflanzen. Jetzt im Herbst strahlen sie in den verschiedensten Farben. Rot, orange, gelb. Auch Habaneros, eine der schärfsten Chilisorten, findet man bei Deutsch.

Sortenvielfalt
Bunte Farben im Chilifeld von Michael Deutsch. © Nicole Frisch
Robust und gesund

Neben den Exoten gibt es aber auch jede Menge alte und traditionelle Sorten. Das sind Raritäten, die heute kaum in großem Maßstab angebaut werden. Dabei verfügen sie über wertvolle Eigenschaften. Sie sind samenfest, was bedeutet, dass man ihre Samen ernten und im nächsten Jahr wieder anbauen kann. Die Eigenschaften der Pflanze bleibt so erhalten. Das hat auch den Vorteil, dass sich diese Sorten gut an neue Gegebenheiten anpassen können und damit widerstandsfähiger gegen Einflüsse von außen sind. Zudem haben sie meist einen intensiveren Geschmack und gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe.

Ein Beispiel ist der Neusiedler Wintersalat. Eine alte Sorte, die bereits im Herbst gepflanzt wird und dann im Beet überwintert. „Anfang April, Mai kann man einen g’schmackigen Salat ernten“, lässt Deutsch wissen. Eine weitere alte Sorte, die er anbaut, ist Rheinlands Ruhm. Eine mittelgroße, rote Tomate, die gut in Ertrag und Geschmack ist. Sie ist sehr robust und trägt auch bei verregneten Sommern gut.

75 Prozent aller Sorten sind verloren

Sortenvielfalt ist in der Landwirtschaft wichtig. Deutsch baut zwar nur in kleinem Rahmen viele verschiedene Sorten an, leistet damit aber einen großen Beitrag zu deren Erhalt. Denn laut der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO sind bereits 75 Prozent aller jemals angebauten Nutzpflanzensorten unwiederbringlich verloren. Denn durch die Industrialisierung der Landwirtschaft in den letzten 100 Jahren wurden gezielt Pflanzen gezüchtet, die hohe Erträge und möglichst einheitliche Sorten erzielen. Denn diese verkaufen sich in allen Supermärkten gleich gut. Auf viele alte und regionale Sorten hat dieses Anforderungsprofil jedoch nicht zugetroffen. Die Folge: Sie sind entweder in Vergessenheit geraten oder komplett verschwunden. Das hat dazu geführt, dass heute nur noch wenige Nutzpflanzensorten angebaut werden. Reis, Weizen und Mais decken weltweit mehr als 50 Prozent des menschlichen Nahrungsmittelbedarfs. Hinzu kommt, dass die massentauglich gezüchteten Pflanzen sich nicht mehr selbst an den Standort anpassen können. Es müssen daher Kunstdünger und Pestizide eingesetzt werden.

Sortenvielfalt im Kampf gegen Klimakrise

Und das ist ein Problem, das durch die Klimakrise verstärkt wird. Es braucht nämlich widerstandsfähige Pflanzen, die mit Wetterextremen und Schädlingen klarkommen. Je größer die genetischen Ressourcen, desto eher können solche Pflanzen gezüchtet werden und damit der Klimakrise begegnet werden. Und die ist rund um den Neusiedler See schon spürbar. Es regnet wenig, die Landschaft ist trocken. Trauriges Sinnbild ist der Neusiedler See, der im Sommer mit 1,15 Metern den niedrigsten Wasserstand seit 1965 erreicht hat. „Es geht deutlich mehr Wasser weg als nachkommt. Wenn es früher um diese Zeit drei Millimeter geregnet hat, war der Boden ein paar Tage lang gatschig. Wenn es heute fünf Millimeter regnet, ist der Boden am nächsten Tag trocken, weil es so warm ist“, bemerkt auch Deutsch Veränderungen. Im Frühling steigen die Temperaturen schnell an, vom Winter fehlt die Feuchtigkeit. „Das potenziert sich“, so Deutsch.

Manchen Exoten wird es auch zu heiß

So manch eine Pflanze im Garten von Deutsch freut sich aber über die wärmeren Temperaturen. Zum Beispiel die Andenbeere, auch bekannt als Physalis. Diese kann bis zum Frost geerntet werden. Auch Gurken haben es gerne warm. Bei Deutsch wachsen sie im Folientunnel, wo es ihnen im Sommer aber fast schon wieder zu heiß wird. Sie im Freien anzubauen, ist aber schwierig. In der Region um den Neusiedler See ist es nämlich sehr windig. Die Rankhilfen für Pflanzen wie Gurken müssten daher sehr gut befestigt sein, damit im Freien nichts passiert. Um auf Nummer sicher zu gehen, bleiben die Gurken im Folientunnel. Dasselbe gilt für Chayoten, ein Kürbisgewächs aus den Tropen und Subtropen mit grünen, stacheligen Früchten. Ihre Blätter wachsen bereits beim Folientunnel hinaus. Deutsch hat sie am Rand gepflanzt, weil sie es ebenfalls nicht zu heiß mögen. „Die Chayoten sind immer eine Challenge“, lässt er wissen.

Sortenvielfalt
Michael Deutsch baut in Neusiedl am See die exotischen Andenbeeren an. © Nicole Frisch
Mit Tropfschläuchen gegen die Trockenheit

Auch wenn viele Pflanzen mit den wärmeren Temperaturen gut zurechtkommen, Wasser brauchen sie trotzdem. Auf den Feldern von Deutsch liegen daher schwarze Schläuche auf schwarzer Folie. Die Folie soll eigentlich das Unkraut im Zaum halten, hat aber auch den Vorteil, dass der Boden länger feucht bleibt. Das Wasser kommt in Form von Tröpfchen aus den Schläuchen. „Das Wasser geht sofort in die Erde. Deswegen kann man mit Tröpfchenschläuchen auch untertags gießen. Es kann kein Wasser verdunsten“, so Deutsch. Anders ist das bei den großen Sprengern, die man oft auf Feldern sieht. Es verdunstet bereits viel Wasser, bevor es überhaupt den Boden berührt. Die Pflanze profitiert davon überhaupt nicht.

Alte Sorten mit Hochleistungssorten kreuzen

Vielfalt trägt zur Ernährungssicherheit bei. Denn alte Sorten haben die Fähigkeit, sich besser an neue Gegebenheiten anzupassen. Dadurch, dass sie im Freien angebaut werden, sind sie robuster. Das ist vor allem in Hinblick auf die Klimakrise von besonderer Bedeutung. Ein Betrieb, wie der von Deutsch, wird aber nicht die gesamte Bevölkerung ernähren können, ist er sich sicher. Es braucht Glashäuser. „In den Glashäusern kann man aber durchaus auf alte Sorten zurückgreifen, sie mit anderen Sorten kombinieren und so eine hohe Ertragssicherheit erzielen“, sagt Deutsch. Es braucht also neue Züchtungen, die mit den standortgegebenen Bedingungen zurechtkommen und hohe Erträge erzielen. Wichtig ist laut Deutsch aber auch, dass sich die klassischen Sorten so entwickeln, dass sie in Zukunft mit weniger Wasser auskommen. Denn: „Wenn wir jetzt Unmengen an Olivenbäumen anbauen, haben die in Griechenland und Italien ein Problem. Man muss schon schauen, dass man in andere Kulturen geht, aber wir dürfen die Welt nicht auf den Kopf stellen“, verweist Deutsch auf die globalisierte Wirtschaft.

Im Feigenbaum raschelt es noch einmal. Ein Star fliegt davon, ein anderer fliegt hinein. Bald werden sie sich auf den Weg in ihr Winterquartier im Mittelmeerraum oder Nordafrika machen. Wenn sie nächstes Jahr wieder kommen, wird die Feige noch immer im Garten von Deutsch stehen. Und sie werden wieder ihr Glück versuchen.

Über die/den Autor:In

Nicole Frisch
Nicole Frisch
Nicole studiert Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Das Ziel: Die Weltpolitik verstehen – und das Verstandene mit möglichst vielen Menschen teilen. Ihren Weg in den Journalismus hat sie über die NÖN gefunden. Ihre Schwerpunkte sind soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Migration und Vergangenheitspolitik.

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