Wie wir über Veganismus reden sollten – und wie nicht

Wir sind mitten im Veganuary. Jenem Monat, in dem mehr über vegane Ernährung gesprochen wird, als im ganzen restlichen Jahr. Ein guter Zeitpunkt, um sich anzusehen, wie wir über alternative Ernährungsformen reden können, ohne zur Moralkeule zu greifen. Lernen können wir dabei ausgerechnet von jenen, die Veganismus verabscheuen.

Wenn du ein Gespräch nicht ruinieren möchtest, dann rede nicht über Politik, Religion oder Ernährung. Diesen Ratschlag habe ich über die Weihnachtsfeiertage in einem Buch gelesen. Jetzt hat der Veganuary begonnen und absolut niemand scheint sich an die Regel zu halten. Und wie man an diesen Zeilen merkt, habe auch ich nicht vor sie zu befolgen. Gut. Politik und Religion leuchten mir ein, das sind sensible Themen. Dort gibt es unterschiedliche Lager und Glaubensrichtungen, es geht um Identität und oft sind kräftige Gefühle im Spiel. Das kann schon mal ein Gespräch in Stücke sprengen. Aber Ernährung? Essen verbindet uns doch als Menschen, es ist Genuss, Lebensgefühl und etwas, bei dem wirklich jede:r mitreden kann. Ein lockeres Gespräch dazu sollte doch kein Problem sein.

„Sage mir, was du isst, und ich sage dir, was du bist“

Nach einer kurzen Recherche war mir aber klar, dass ich die Tiefe des Themas unterschätzt habe. Natürlich hat auch Essen mit Identität zu tun. Es kann ein Statussymbol sein, ein Ausdruck von Männlichkeit, es bringt unsere moralischen Werte und unsere Persönlichkeit im wahrsten Sinne aufs Tablett. Der Franzose Jean Anthelme Brillat-Savarin hat schon im 18. Jahrhundert geschrieben: „Sage mir, was du isst, und ich sage dir, was du bist.“ Indem wir regional einkaufen oder gern ein blutiges Steak essen, zeigen wir, wer wir sind.

„I hätt gern an Latte Macchiato. Mit Hafermilch bitte.“

Besonders in Österreich ist Ernährung außerdem mit Traditionen verknüpft. Für viele Menschen spielen das eine große Rolle. Das versinnbildlicht die Debatte um Hafermilch, die letzten November losgebrochen ist.  Ein 90-sekündiger Werbeclip des Landes Tirol zeigt eine Percht, die auf einer Berghütte einen Kaffee mit Hafermilch bestellt. Was eine Botschaft für tolerante Gastfreundschaft hätte sein sollen, stößt den Milchbäuer:innen sauer auf. Sie werten den Clip als Angriff auf die Tiroler Kulturlandschaft mit ihren Milchkühen – und damit auf ihre Traditionen. Tirol stoppt die Kampagne und entschuldigt sich.

Essen ist Gefühlssache

Dieser Vorfall hat mir geholfen, zu verstehen, wie viele Gefühle beim Thema Essen im Spiel sind. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die wir uns vor Augen halten müssen, wenn wir über Ernährung sprechen. Es gibt aber noch eine weitere Gemeinsamkeit mit Religion und Politik. Auch bei der Ernährung sortieren wir uns in Lager und Glaubensrichtungen. Dort ist die Hafermilchgemeinde, dort die Kuhmilchgemeinschaft. Die wohl größte Bruchlinie verläuft aber zwischen jenen Menschen, die Fleisch essen und jenen, die es nicht tun. Das Thema ist so groß, dass es dafür sogar ein eigenes wissenschaftliches Feld gibt, das sich mit der Psychologie hinter dem Fleischessen beschäftigt.

Fleischessen ist wohl auch deswegen so ein großes Thema, weil es tatsächlich rationale Gründe gibt, es weniger oder gar nicht zu tun. Genau deswegen gibt es Aktionen wie den Veganuary und genau deswegen ist es wichtig, darüber zu sprechen. Da wären Vorteile für die Gesundheit, da wäre Tierwohl und es gibt auch viele Klima- und Umweltgründe für eine vegane Ernährung. Aber das soll hier nicht weiter Thema sein. Mich hat viel mehr beschäftigt, wie wir unaufgeregt über Ernährung, Fleischkonsum und Veganismus reden können. Und zwar ohne uns dabei in Lager aufzuteilen, starke Gefühle auszulösen und zu belehren.

Was wir von einem Anti-Vegan-Forum lernen können

Wie das gehen könnte, lernen wir von jenen, die Veganismus wenig abgewinnen können. Bei meiner Recherche bin ich auf einen wissenschaftlichen Artikel aus „Psychology Today“ gestoßen. Mitte Dezember sind dort Erkenntnisse aus der Analyse eines Anti-Vegan-Forums erschienen. Zwei Psychologie-Professor:innen haben dafür 50.000 Posts analysiert. Die Studie hat zwar keinen repräsentativen Charakter, gibt aber einen Einblick in die Denkweise und Kommunikation von Menschen, die vegane Ernährung strikt ablehnen. Aus der Analyse haben die beiden Autor:innen dann abgeleitet, warum so viele Menschen vegane Ernährung ablehnen. Die möchte ich nutzen, um Ideen zu bekommen, wie wir konstruktiver über Veganismus sprechen.

Unperfekten Veganismus willkommen heißen

Die Autor:innen haben überrascht festgestellt, dass einige Mitglieder des Forums bereits irgendwann mal versucht haben, vegan zu leben, aber es nicht durchgehalten haben.  Aus ihren Kommentaren und Einträgen schlussfolgern sie, dass es helfen würde, wenn die vegane Community inklusiver wäre. Das heißt: Sie sollte auch Menschen willkommen heißen, die eine vegane Lebensweise nicht zu 100 Prozent durchziehen.

„Drei von vier Veganer:innen waren zuvor vegetarisch.“

Das leuchtet ein. Wir sollten also niemanden das Gefühl geben, dass das, was er oder sie tut, nicht genug sei. Erzählen wir einer Vegetarierin, ihre Ernährung würde immer noch Ausbeutung verursachen, werden wir damit sicher nichts erreichen. Außerdem zeigen Umfragen unter Veganer:innen, dass sich drei von vier Menschen zuerst vegetarisch ernährt haben und erst im Laufe der Zeit völlig auf tierische Produkte verzichtet haben. Die meisten Menschen haben also über Zwischenschritte zum Veganismus gefunden. Und überhaupt: Etwas perfekt machen zu müssen halte ich für keinen guten Anspruch, weder an einen selbst noch an andere. Wer Leute also für neue Ernährungsformen begeistern will, sollte sie positiv bestärken. Konsumiert jemand also weiterhin Fleisch, Eier oder Milch, geht aber sehr bewusst an die Sache heran, ist das völlig in Ordnung.

Mehr Aufklärung über gesunde Ernährung leisten

Die Psycholog:innen haben herausgefunden, dass Menschen im Anti-Vegan-Forum oft Bedenken darüber haben, ob vegane Ernährung den Körper wirklich mit allen wichtigen Nährstoffen versorgen kann. Das hat die Analyse deutlich gezeigt. Die Autor:innen schlussfolgern, dass es hilfreich wäre, die gesundheitlichen Aspekte einer veganen Ernährung in den Vordergrund zu stellen.

Das heißt auch, ehrlich darüber zu reden, wo wir achtsam sein müssen. So müssen Veganer:innen beispielsweise Vitamin B12 in Form einer Tablette einnehmen und besonders auf eine ausreichende Proteinmenge achten. Nachteile zu verschweigen und Veganismus zu glorifizieren, bringt also wenig. Eine gesunde Ernährung kann viele Formen annehmen und schließt Fleisch und tierische Produkte nicht aus. Die Menge macht’s.

Ablehnung der Massentierhaltung ist ein verbindendes Element

Die Mitglieder des Forums haben das Töten von Tieren für den menschlichen Verzehr als einen natürlichen Teil des Lebens gesehen. Eine Haltung, die sie deutlich von den meisten vegan und vegetarischen Menschen unterscheidet. Allerdings: Viele im Forum bedauern die schlechten Leben der Tiere in der Massentierhaltung.

Diese Überschneidung könnte als Anknüpfungspunkt dienen. Wenn Veganer:innen und Fleischesser:innen das Gefühl haben, moralisch auf Augenhöhe zu sein, kommt leichter ein lockeres Gespräch zustande. Und das ist viel wert.

Mehr mit Andersdenkenden reden

Die beiden Studienautor:innen bezeichnen Foren wie das von ihnen Analysierte als Echokammern. Das sind digitale Orte, an denen Menschen mit ähnlichen Ansichten und Überzeugungen zusammenkommen und sich gegenseitig bestärken. Dies kann dazu führen, dass die Ansichten innerhalb dieser Gruppen immer extremer werden. Ihnen fehlen alternative Perspektiven und Gegenargumente. Umso wichtiger ist es, dass wir das Thema Ernährung im echten Leben nicht scheuen. Wenn Fleischesser:innen auf Veganer:innen treffen, können beide voneinander lernen und bekommen neue Perspektiven. Wir sollten dabei aber immer im Kopf behalten, dass unser Gegenüber womöglich kaum mit Gegenargumenten seiner eigenen Ansichten vertraut ist.

„Der Veganer ist dem Veganer sein größter Feind“

Unser Ernährungssystem ist ethisch nicht mehr vertretbar. Das beschäftigt viele Veganer:innen zurecht. Der Wunsch das zu ändern, löst in vielen allerdings ein Missionierungsdruck aus. Der vegane Youtuber Philipp Steuer ist deswegen davon überzeugt: „Der Veganer ist dem Veganer sein größter Feind.“ Denn der Eifer, Fleischesser:innen moralisch zu belehren, führt nirgends hin. Ganz im Gegenteil, ein solches Verhalten lässt die Bruchlinie nur weiter aufklaffen.

Deswegen: Verurteilen wir niemanden, der etwas noch nicht perfekt macht. Heißen wir alle willkommen, die kleine Schritte in die richtige Richtung machen, sprechen wir ehrlich über gesundheitliche Vor- und Nachteile von Veganismus und stellen wir verbindende Elemente in den Mittelpunkt von Gesprächen. Zum Beispiel Haltungsmethoden, die Tierwohl nicht außer Acht lassen.

Meine wichtigste Erkenntnis ist allerdings, den Ratschlag vom Beginn dieses Textes in den Wind zu schießen. Das Thema Ernährung sollte in keinem Gespräch ein Tabu sein. Nicht nur, weil Essen etwas Schönes und Verbindendes sein kann. Auch dann, wenn wir andere Ansichten haben, ist ein Gespräch wichtig. Besonders dann. Nur die Moralkeule lassen wir besser im Schrank.

Über die/den Autor:In

Markus Englisch
Markus Englisch
Markus studierte TV- und Medienproduktion in Wien. Sein größter Antrieb als Journalist ist es, die Klimakrise für alle Menschen begreifbar zu machen. Zuletzt war er als Redakteur bei PULS 4 tätig und leitete das Nachhaltigkeitsmagazin KLIMAHELDiNNEN.

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