20 Minuten Klimaprotest schlägt 20 Jahre Argumente

Anfang des Jahres stellte sich eine Gruppe Wissenschafter:innen bei einer Klimaprotestaktion am Wiener Praterstern demonstrativ hinter die Aktivisten. Diese „20 Minuten“ hätten möglicherweise mehr Effekt gehabt „als 20 Jahre Wissenschaftskommunikation“ und „braves“ Argumentieren, so Klimapolitik-Experte Reinhard Steurer – der Initiator der Aktion. Seiner Meinung nach seien solche Störaktionen mittlerweile gerechtfertigt. Es brauche den sozialen und zivilen Widerstand.

Mindestens 30 Jahre lang zeige die Wissenschaft akribisch auf, was die massive Steigerung der Treibhausgase in der Atmosphäre für verheerende Auswirkungen auf das Weltklima hat, so etwa im Rahmen der Berichte des Weltklimarates IPCC. Gebracht habe es herzlich wenig: „Wir sind in einer katastrophalen Situation“, sagte Steurer im Rahmen einer Diskussion zum Thema „Aktivismus in der Wissenschaft – Tabubruch oder Pflicht?“ mit Unterstützern der Initiative „Scientists for Future“.

Es braucht Störung

Laut Steurer sind wir nun an dem Punkt angekommen, „wo es Störung braucht“. Wenn vielerorts unverhohlen Verharmlosung betrieben wird und man es sich im „fossilen Lebensstil“ zu gemütlich eingerichtet hat, brauche es Aktivisten, „die den Spiegel vorhalten“. Dass sich solche Proteste jetzt dorthin bewegen, wo es tatsächlich zu Störungen für den alltäglichen Ablauf kommt, sei gewissermaßen notwendig. Ein Protest an einem Kohlekraftwerk-Standort, vor Firmen- oder Parteizentralen sei mittlerweile kaum noch medial erwähnenswert, meinte der an der Wiener Universität für Bodenkultur tätige Forscher.

„Die Mehrheit der Menschen wählt immer noch Parteien, die mehr oder weniger nichts für den Klimaschutz tun.“

Dass seine Solidarität mit den umstrittenen Klebe-Aktionen der „Letzten Generation“, etwa zur Störung des Frühverkehrs in Wien, ihm nicht nur Applaus bringt, sei klar gewesen, so Steurer. Er habe damit aber einen Gegenpol zur politischen Diskussion setzen wollen, wo die Gruppe vielfach in die Nähe von „Terroristen“ gerückt wurde. „Sie sind keine Kriminellen und Chaoten“ – die Chaoten säßen in den Regierungen und Unternehmen, die zu wenig tun, um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden.

Wissenschaft klarer positionieren

Die Forderung der „Letzten Generation“ zur Temporeduktion auf Österreichs Straßen funktioniere auch daher so gut, weil sie einfach und nicht zu technisch ist. Durch das Backup der Forscher am Praterstern habe sich etwas in der öffentlicher Wahrnehmung verändert, glaubt Steurer.

Für Steurer und andere Forscher ist Aktivismus auch eine neue Form der Wissenschaftskommunikation. „Die Wissenschaft“ halte es schon aus, wenn sich Forscherinnen und Forscher in der Klimafrage noch klarer positionieren. In der Vergangenheit seien auch viele Fehler in der Wissenschaftsvermittlung gemacht worden. Selbst die Zusammenfassungen der IPCC-Berichte seien immer noch „keine leichte Kost“, monierte Steurer. Trotzdem habe man über Jahrzehnte „sehr laut gewarnt“. Nun sollte die Wissenschaft auch eine politischere Rolle spielen, und zum Beispiel deutlich auf politische Ablenkungsmanöver und Co hinweisen. Er sehe es auch als Aufgabe, Parteien klar zu benennen, die nichts im Klimaschutz tun.

Es gehe nun sehr wohl auch darum, dabei zu helfen, politischen Druck aufzubauen. „Die Leute werden von Parteien auch nach Strich und Faden belogen“, die sich als vermeintliche Mitte darstellen und auf unrealistische Lösungen durch neue Technologien und Freiwilligkeit hinweisen. Trotzdem wähle die Mehrheit der Menschen immer noch Parteien, die mehr oder weniger nichts für den Klimaschutz tun. (Red/APA)

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