Wald statt Beton

Wald oder Wohnungen? Diese Frage stellt sich derzeit im steirischen Gleisdorf. Auf einem Waldgrundstück sind 60 Wohnungen geplant. Ein Verein stellt sich quer – und will den Schießstattwald mit einer Crowdfunding-Kampagen retten. 

Es summt auf der Wiese und raschelt in den Bäumen, die der Frühling nach und nach grün färbt. Bienen sammeln Nektar, Singvögel bauen ihr Nest. Alle paar Meter stößt man auf eine Weinbergschnecke in der Wiese und quert eine Ameisenstraße. All das sieht man, wenn man den Wald am Ende der Schießstattgasse in der steirischen Stadtgemeinde Gleisdorf betritt. Er ist ein Rückzugsort. Auch für Menschen, aber in erster Linie für die Tier- und Pflanzenwelt.

2,6 Millionen Euro bis September

Doch die Idylle im Schießstattwald trügt. Der Wald könnte schon bald gerodet werden, damit auf der freigewordenen Fläche 60 Wohnungen gebaut werden können. „Das alles, was hier entstanden ist, soll zerstört werden“, sagt Hans Fischer. Er ist Obmann des Vereins „Wald statt Beton“, dessen Mitglieder sich dafür einsetzen, dass der Schießstattwald erhalten bleibt. Und dafür brauchen sie die Unterstützung möglichst vieler Menschen. Denn sie wollen das Grundstück zurückkaufen. 2,6 Millionen Euro müssen sie dafür bis September über eine Crowdfunding-Aktion aufstellen. „Es ist eine große Summe, die wir versuchen, durch Spenden aufzubringen“, weiß Fischer.

Beeindruckende Artenvielfalt im Schießstattwald

Doch spulen wir kurz zurück. Wie ist es überhaupt so weit gekommen, dass der Verein „Wald statt Beton“ nun Spenden sammelt, um einen Wald zu retten? Der 12.000 Quadratmeter große Grund am Ende der Schießstattgasse ist jahrzehntelang brach gelegen, sodass sich darauf ein Wald entwickeln konnte. Damit hat sich auch eine beeindruckende Artenvielfalt im Schießstattwald angesiedelt. Verschiedene Baumarten wie Nuss, Hainbuche und Weide wachsen nebeneinander. Es sind bereits ältere und noch junge Bäume. In alten Obstbäumen gibt es Nistlöcher für Vögel. Auch Wildrosen, Himbeeren und Brombeeren sowie Brennnesseln wachsen hier. Kleinere Tiere wie die Haselmaus nisten in den unzugänglichen Bereichen des Waldes.

Viele Gleisdorfer:innen verbinden mit dem Wald persönliche Erinnerungen. Vom Rodeln im Winter über Wildtierbeobachtungen bis hin zu Spaziergängen durch den Wald. Mittlerweile befindet sich das Grundstück im Besitz der Österreichischen Wohnbaugenossenschaft (ÖWG). Die Fläche wurde vom Gemeinderat in Bauland umgewidmet und dürfte bereits gerodet werden.

Schießstattwald
Hans Fischer will, dass der Schießstattwald Wald bleibt. © Markus Englisch
Keine Rodung bis zum Ende der Crowdfunding-Aktion

Die schweren Maschinen sind im Schießstattwald aber noch nicht aufgefahren. Der Grundbesitzer ÖWG hat dem Verein „Wald statt Beton“ bis September Zeit gegeben, die Kaufsumme aufzutreiben. Sollte es der Verein schaffen, die 2,6 Millionen Euro zu sammeln, dann übergibt er diese Summe der Stadtgemeinde. „Das Geld, das aufgebracht wird, wird der Gemeinde geschenkt und die Gemeinde wird dazu verpflichtet, diesen Grund anzukaufen und für ewige Zeit als Wald zu erhalten“, erklärt Fischer den Ablauf. Bis zum Ende der Crowdfunding-Kampagne wird jedenfalls kein Baum gefällt.

Wohnraum ist nicht knapp

Der Mensch braucht Wohnraum und der Mensch braucht eine intakte Umwelt. Ein menschliches Grundbedürfnis trifft hier auf die Zerstörung der Umwelt durch Bodenversiegelung. Im Fall von Gleisdorf müsse das eine aber nicht gegen das andere ausgespielt werden, ist man sich beim Verein „Wald statt Beton“ sicher. „Es gibt in Gleisdorf laufend zwischen 60 und 100 Wohnungen, die man käuflich erwerben kann. Es gibt genau so viele Wohnungen, die man mieten kann. Wohnraum ist in Gleisdorf noch nicht wirklich knapp“, meint Fischer. Zudem könnte man ehemals öffentliche Gebäude wie das alte Bezirksgericht, die Polizeistation oder die ehemalige Post für Wohnungen adaptieren.

Mehr als die doppelte Fläche Vorarlbergs ist bereits verbaut

Zehn Hektar Boden werden laut Umweltbundesamt täglich verbraucht. Das entspricht in etwa 14 Fußballfeldern. Mehr als die Hälfte davon werden versiegelt. Der Boden ist damit dauerhaft verloren. Fast ein Fünftel der bewohnbaren und landwirtschaftlich nutzbaren Fläche in Österreich ist bereits verbaut. Das ist mehr als die doppelte Fläche von Vorarlberg.

„Je mehr wir an ökologischen Ausgleichsflächen haben, desto besser ist unsere eigene Lebensqualität“

Dass der Bodenverbrauch eines der drängendsten Probleme unserer Zeit ist, haben auch Fischer und seine Mitstreiter:innen erkannt. Sie alle zeigen sich besorgt über die Entwicklungen der letzten Jahre. „Es macht mir Angst, es macht mir Sorge. Das Raabtal ist ein fruchtbarer Boden. Und der wird verindustrialisiert. Wenn man sich das einmal überlegt. Es geht immer nur ums Geld“, zeigt sich Mitstreiterin Susanna Schinnerl besorgt. Der Bodenverbrauch hat viele negative Folgen für die Umwelt: Er zerstört Lebensraum, führt zu Artensterben, für den Menschen überlebensnotwendige Bodenfunktionen gehen verloren und die Klimakrise wird verschärft. Von einem gesunden, intakten Boden hängt viel ab. Unsere Ernährung, sauberes Trinkwasser, saubere Luft, Abkühlung im Sommer sowie der Schutz vor Hochwasser und anderen Naturkatastrophen.

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Schießstattwald bereits in den 1980er Jahren als wertvoll eingestuft

„Je mehr wir an ökologischen Ausgleichsflächen haben, desto besser ist unsere eigene Lebensqualität. Egoistisch gedacht“, betont Camillo Hörner. Er ist einer jener, die sich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass der Wald erhalten bleibt. In den 1980er Jahren hat er das Projekt Ökokataster entwickelt. Interessierte Bürger:innen haben in über 50 steirischen Gemeinden die Artenvielfalt erkundet und bewertet. Auch der heutige Schießstattwald wurde damals begutachtet. Zwar hatte dieser damals noch ein anderes Aussehen. Viele Bäume sind damals noch nicht gestanden, dafür aber eine Streuobstwiese. Durch den Bach gab es im unteren Bereich des Waldes eine Feuchtwiese. „Für uns war das damals schon eine sehr hochwertige Fläche“, erzählt Hörner.

Unterstützung über Stadtgrenzen hinaus

Wenn sich also heute eine zivilgesellschaftliche Gruppe in Gleisdorf für den Wald einsetzt, dann setzt sie sich nicht nur dafür ein, dass Krähen weiterhin ihre Nester bauen können, Insekten im Totholz ein Zuhause finden und Brennnesseln neben Himbeeren und Weiden wachsen können. Sie kämpfen auch dafür, dass wir Menschen eine intakte Natur um uns haben. „Ich glaube, dass unser Projekt ein Vorzeigeprojekt werden kann für sehr viele andere in Österreich, die genauso sagen, dass dieser Flächenfraß ein Wahnsinn ist und die jetzt den Mut fassen und gleiche Aktionen setzen“, zeigt sich Fischer zuversichtlich. Dass die Crowdfunding-Kampagne auch über die Grenzen Gleisdorfs hinaus Beachtung bekommt, zeigen die Spender:innen. Finanzielle Unterstützung kam bisher bereits auch aus anderen Bundesländern und sogar aus Deutschland. Denn Bodenversiegelung betrifft alle, nicht nur die Gleisdorfer:innen.

Über die/den Autor:In

Nicole Frisch
Nicole Frisch
Nicole studiert Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Das Ziel: Die Weltpolitik verstehen – und das Verstandene mit möglichst vielen Menschen teilen. Ihren Weg in den Journalismus hat sie über die NÖN gefunden. Ihre Schwerpunkte sind soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Migration und Vergangenheitspolitik.

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