Ein Drittel darf nicht wählen

Der Anteil der Menschen ohne Wahlberechtigung in Österreich steigt seit Jahren. In Wien hat er jetzt ein neues Rekordhoch erreicht.

Wenn am 27. April der Wiener Gemeinderat und Landtag neu gewählt wird, kann mehr als ein Drittel der Einwohner:innen der Bundeshauptstadt nicht daran teilnehmen. Mehr als 35 Prozent der Wiener:innen im Wahlalter haben kein Wahlrecht, weil sie keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen.

Immer weniger Wahlberechtigte

In den vergangenen Jahren ist der Anteil der Wahlberechtigten kontinuierlich gesunken. Waren in den 1980er Jahren noch mehr als 90 Prozent der Volljährigen in Wien wahlberechtigt, sank der Anteil trotz Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei der Wahl 2010 erstmals unter 80 Prozent. Bei der Gemeinderatswahl 2015 waren bereits mehr als ein Viertel der Wiener:innen im Wahlalter vom Wahlrecht ausgeschlossen.

Nur noch rund 70 Prozent der in Wien lebenden Menschen waren bei der Wiener Gemeinderatswahl vor fünf Jahren zur Stimmabgabe aufgerufen. Bei der Nationalratswahl im vergangenen Herbst sank der Anteil der Wahlberechtigten in Wien erstmals unter die Zwei-Drittel-Marke, seitdem ist der Anteil noch weiter gesunken auf nun unter 65 Prozent. Den rund 1,1 Millionen Wahlberechtigten stehen laut Daten der Statistik Austria rund 610.000 Nicht-Österreicher:innen im Wahlalter mit Hauptwohnsitz in Wien gegenüber. Das entspricht einem Anteil von 35,4 Prozent, österreichweit waren zum 1. Jänner 19,7 Prozent der Über-16-Jährigen nicht wahlberechtigt.

Wahllokal
Wenn am 27. April in Wien der Gemeinderat und der Landtag neu gewählt werden, kann ein Drittel der Einwohner:innen nicht wählen. 
EU-Bürger:innen dürfen nur Bezirksvertretung wählen

Mehr als ein Drittel der Nicht-Stimmberechtigten stammt aus der Europäischen Union. Die rund 260.000 in Wien lebenden EU-Bürger:innen dürfen zwar an den Bezirksvertretungswahlen teilnehmen, aber anders als in anderen Gemeinden nicht für den Gemeinderat stimmen, weil dieser in Wien gleichzeitig der Landtag ist und die Teilnahme an Landtagswahlen gemäß Verfassung österreichischen Staatsbürger:innen vorbehalten ist. Zwar wächst die Zahl der auf Bezirksebene wahlberechtigten EU-Ausländer seit Jahren, ihre Wahlbeteiligung ist aber traditionell gering. 2020 gaben nur 20,4 Prozent der Wahlberechtigten aus anderen EU-Staaten ihre Stimme ab – bei einer Gesamtwahlbeteiligung von 57,7 Prozent.

Auf dem Weg zur halben Demokratie

Seit Jahren gibt es Warnungen, dass der steigende Anteil der Nichtwahlberechtigten ein demokratiepolitisches Problem darstellt. Die Organisation SOS Mitmensch spricht davon, dass sich Wien auf dem Weg zu einer „halben Demokratie“ befinde, weil laut ihrer Prognose im Jahr 2050 nur noch jede zweite Person wahlberechtigt sein werde.

Das Problem sieht die NGO, die im Vorfeld der Wien-Wahl erneut eine symbolische „Pass Egal Wahl“ veranstalten wird, nicht nur in der Einwanderung, sondern auch im restriktiven Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft. Einen österreichischen Pass zu bekommen, ist schwer und teuer. Österreich rangiert beim weltweiten Migrant Integration Policy Index auf dem drittletzten Platz. Nur in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten ist es noch schwerer, die Staatsbürgerschaft zu bekommen. Daran dürfte auch die neue Dreierkoalition wenig ändern, laut Regierungsprogramm sollen zum Beispiel die Anforderungen bei Deutschkenntnissen noch weiter verschärft werden. Nur für Personen mit dringend benötigten Berufen soll es Erleichterungen bei den finanziellen Anforderungen geben. (Red./APA)

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