Eine Volksbefragung besiegelt das Schicksal eines umstrittenen Großprojekts: Der Zusammenschluss der Gletscher-Skigebiete im Ötz- und Pitztal kommt doch nicht. Ein großer Gewinn für den alpinen Naturschutz.
In Österreich buhlen über 400 Skigebiete um Wintergäste. Um da nicht den Anschluss zur Konkurrenz zu verlieren, erschließen Skigebiete immer mehr Hänge, errichten Snow Parks und neue Lifte. Je mehr Pistenkilometer und Abwechslung, desto mehr Gäste kommen. Das ist auch der Grund, warum sich Skigebiete immer öfter zu einem einzelnen XXL-Skigebiet zusammenschließen. Bei diesem Trend bleibt allerdings nur allzu oft die Natur auf der Strecke.
Größtes Gletscher-Skigebiet der Welt
Die Skigebiete Lech-Zürs und St. Anton haben es vorgemacht. Seit dem Winter 2016 sind sie mit einer Seilbahn verbunden und bilden zusammen das größte Skigebiet Österreichs. Nur wenige Kilometer östlich planen zwei Täler einen ähnlichen Zusammenschluss. Zwei Skigebiete im Ötz- und Pitztal wollen sich zum größten Gletscher-Skigebiet der Welt zusammentun. Ein Titel der Superlative, der viele neue Gäste bringt.
Volksbefragung sagt Nein
Doch es kommt anders. Bei einer Volksbefragung Mitte Juli erteilt die stimmberechtigte Bevölkerung der Gemeinde St. Leonhard im Pitztal einen Korb. Das Ergebnis fällt zwar knapp aus: 348 Menschen (49,64 Prozent) sprechen sich dafür aus, 353 (50,36 Prozent) dagegen. Dennoch: Die Mehrheit sagt Nein. Die Pitztaler Gletscherbahn gibt noch am selben Tag bekannt, das Projekt nicht weiter verfolgen zu wollen.
168.000 Unterschriften gegen die Gletscherehe
131 Millionen Euro an Investorengelder hätten in den Zusammenschluss fließen sollen. Doch schon vor der Volksbefragung war der Himmel über Tirol nicht wolkenlos: Im April 2020 übergibt eine Bürgerinitiative 168.000 Unterschriften gegen das Projekt an die Tiroler Landesregierung. Und auch das Landesumweltamt Tirol sieht auf APA-Anfrage im April kaum Chancen auf eine positive Umweltverträglichkeitsprüfung.
Bis August hätten die beteiligen Seilbahn-Gesellschafter des Ötz- und Pitztals eine Entscheidung fällen müssen, ob sie mit dem Verfahren fortschreiten wollen. Diese Entscheidung gibt die Pitztaler Seite dann an die Bevölkerung ab und leitet die Befragung in die Wege.
Großbaustelle auf unberührten Gletschern
Die Gletscherehe ist von Anfang an umstritten. Der Hauptgrund: Dort, wo die notwendige Infrastruktur für den Zusammenschluss entstehen soll, liegen noch drei unberührte Gletscher: Karlesferner, Hangender Ferner und Mittelbergferner.
Drei neue Gondelbahnen mit bis zu 80 Meter hohen Stützen waren geplant. Für eine Seilbahnstation hätten die Projektplaner:innen sogar ein Vorgipfel des Fernerkogels abgetragen wollen. Eine andere Station wollte man mitten im Vorfeld eines Gletschers bauen. Und rundherum 64 Hektar neue Pisten und ein Speicherteich für Schneekanonen.
Kurzum: Eine unberührte hochalpine Landschaft wäre durch Skipisten und technische Einrichtungen ersetzt worden.
Gletscherschutz mit großen Lücken
Seit 1990ern gibt es in Tirol eigentlich Gesetze, die Gletscher schützen. 2006 wurde dieser Schutz durch ein neues Raumordnungsprogramm aufgeweicht. Zwar steht im Gesetz, dass noch „unerschlossene Gletscher und ihre Einzugsgebiete von der Errichtung von Anlagen freizuhalten sind.“
Allerdings: Im Raumordnungsprogramm findet sich ausdrücklich eine Ausnahme. Ausgerechnet Teile des Mittelbergferners, der Karlesferner und der Hangende Ferner sind vom Gletscherschutzprogramm ausgenommen. Jene Gletscher, auf denen die Infrastruktur für den Pitztal-Ötztal-Zusammenschluss entstehen soll.
„Der Sinneswandel der Bevölkerung ist jetzt da und die Landespolitik soll diese Signale hören.“
Gebi Mair will diese Ausnahme beseitigen. Der Klubobmann der Tiroler Grünen möchte, dass das Raumordnungsprogramm geändert wird, um die Lücke im Gletscherschutz zu schließen. Und zwar noch vor den Tiroler Landtagswahlen im September 2022. Damit nimmt Mair den Koalitionspartner ÖVP in die Pflicht. „Der Sinneswandel der Bevölkerung in Sachen Gletscherschutz ist jetzt da und die Landespolitik soll diese Signale hören.“ Auch die Umweltschutzorganisation WWF drängt auf einen konsequenten Gletscherschutz und verweist darauf, wie sensibel hochalpine Ökosysteme sind.
Alpen besonders von Klimakrise betroffen
Der Alpenraum ist von der Klimakrise besonders stark betroffen. Die Temperaturen in den Alpen steigen doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. In den letzten 120 Jahren verzeichneten Klimaforscher:innen einen Anstieg von 2° Celsius. Das ist fatal für das empfindliche Ökosystem der Alpen.
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