Die Pandemie mag vorbei sein, aber ihre Folgen für Kinder und Jugendliche sind es nicht. Corona und die damit verbundenen Maßnahmen haben die Kinderrechte in Österreich stark eingeschränkt. Ein Sonderbericht hat sich angesehen, wie man das in Zukunft besser machen kann.
„Juhu, keine Schule mehr“, singt Marie erfreut, als sie im März 2020 vom Lockdown hört. Die Volksschülerin geht zwar gerne in die Schule, aber Ferien hat sie dann doch viel lieber. Länger schlafen, fernsehen und ganz viel spielen, dachte sie sich. Doch als die Schule dann immer länger geschlossen blieb und Marie weder ihre Freund:innen noch ihre Großeltern und dann nicht mal mehr regelmäßig ihren Vater – ihre Eltern sind geschieden – treffen durfte, war die Freude über die zusätzliche Zeit zu Hause schnell vorbei. Im Gegenteil: Sie fühlt sich verunsichert und alleine gelassen.
Jonas ergeht es ähnlich. Zu Beginn der Pandemie ist er vom Homeschooling total begeistert. Er hat eine Lernschwäche und ist daher nie gerne in die Schule gegangen. Die meiste Zeit ist der 15-Jährige alleine zu Hause, weil seine Mutter alleinerziehend ist und Vollzeit arbeitet. Das hat am Anfang noch super funktioniert, doch schnell wird ihm das eigenständige Lernen zu viel. Deshalb hat er bald auch keine Hausübungen mehr gemacht. Das wird eh nicht kontrolliert, meint er. Nach dem zweiten Lockdown ist von Schule keine Rede mehr. Bis spät in die Nacht hat Jonas nur noch gezockt. Alles andere ist ihm einfach zu viel geworden…
Die Pandemie ist vorbei, die Folgen von Corona sind es nicht
So wie Marie und Jonas ist es vielen Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren ergangen. Denn die Regierung hat sich zu Beginn der Pandemie für allgemeine Beschränkungen entschieden. Nun stellt sich die Frage: War das angemessen oder wurden die Rechte der Kinder und Jugendlichen missachtet? Und wie kann man es künftig besser machen? Mit der Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention hat sich Österreich 1989 dazu verpflichtet, die Rechte der Kinder und Jugendlichen zu schützen und einzuhalten. Doch was passiert, wenn eine Ausnahmesituation wie die Corona-Pandemie auftritt?
Sonderbericht nimmt Kinderrechte während der Pandemie unter die Lupe
Im Sonderbericht „Corona und Kinderrechte“ des Netzwerks Kinderrechte sind Expert:innen dieser Frage nachgegangen und haben untersucht, welche Auswirkungen die Pandemie auf die Kinderrechte gehabt hat. Über 51 Organisationen wie das Netzwerk Kinderrechte, Rat auf Draht, Saferinternet.at und die Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg haben hierfür die letzten drei Pandemiejahre analysiert. Herausgekommen ist vor allem eines: Die Kinder- und Jugendrechte haben aufgrund von Corona enorm gelitten. „Vielen Kindern und Jugendlichen wäre es besonders wichtig gewesen, gesehen und gehört zu werden. Beides ist während der Pandemie einfach vergessen worden“, erklärt Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez vom Netzwerk Kinderrechte. Stattdessen wurden Maßnahmen ergriffen, die vor allem der Wirtschaft zugutegekommen sind. „Die Bedürfnisse und Rechte von Kindern und Jugendlichen wurden in der Corona-Politik nicht einmal erwähnt“, kritisiert Schaffelhofer-Garcia Marquez.
„Vielen Kindern und Jugendlichen wäre es besonders wichtig gewesen, gesehen und gehört zu werden.“
Dabei geht es vor allem um die UN-Kinderrechte wie das Recht auf Bildung, Spiel, Freizeit, Gesundheit und Meinungsfreiheit. Während der Pandemie sind sie allerdings missachtet worden – obwohl sie in der Verfassung verankert sind. Beispielsweise konnten Kinder und Jugendliche nicht mehr wie gewohnt zur Schule gehen, Sport treiben oder sich mit Freund:innen treffen. Das hat sich auf ihre körperliche und emotionale Gesundheit ausgewirkt. Viele Versammlungen und Treffen, bei denen sich Kinder austauschen können, wurden abgesagt oder auf Online-Plattformen verlegt. Ohne geeignetes Equipment konnte nicht jede:r daran teilnehmen.
Die Folgen sind gravierend. Das zeigen immer mehr Studien wie die HBSC-Studie, die die Auswirkungen von Corona auf die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen untersucht haben. Die Zahl der psychischen Probleme, Niedergeschlagenheit, Depressionen, Sorgen um die Zukunft, Ängste und Einsamkeit sind extrem angestiegen, besonders bei Mädchen und jungen Frauen. Auch die Zahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen hat während Corona zugenommen.
„Mangelhaft“ in allen Bereichen
Hätte man das verhindern können? Ja, meinen die Expert:innen aus dem aktuellen Sonderbericht. Denn immerhin haben die Vereinten Nationen bereits 2019 – und damit vor der Pandemie – Österreich dafür kritisiert, die Kinderrechte nur mangelhaft umzusetzen. Besonders negativ ist der Bereich Kinder- und Jugendgesundheit aufgefallen. Laut Untersuchungen hatten bereits damals 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen psychische Probleme. Auch gab es bereits damals viel zu wenig Personal, Therapieplätze sowie Beratungsstellen für bedürftige Kinder und Jugendliche. Ein Ergebnis, das hätte aufrütteln sollen.
Um sicherzustellen, dass die Kinderrechte umgesetzt werden, braucht es daher laut Schaffelhofer-Garcia Marquez, Koordinatorin des Netzwerks Kinderrechte, eine unabhängige Kindermonitoringstelle. Doch was ist das genau?
Unabhängige Überwachung der Kinderrechte
Das Kinderrechts-Monitoring ist eine unabhängige Einrichtung, die die Umsetzung der Kinderrechte in verschiedenen Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Schutz vor Gewalt und Ausbeutung, Teilhabe und Mitsprache überwacht. Hierbei werden regelmäßig Daten und Informationen erhoben, um Schwachstellen aufzudecken und Verbesserungen einzufordern. Im Bereich der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen könnte das Monitoring beispielsweise die Verfügbarkeit und Qualität von Betreuungs- und Therapieangeboten überprüfen und auf Verbesserungsbedarf hinweisen. Das Monitoring muss unabhängig sein und könnte beispielsweise vom Sozial-, Bildungs-, Familien- oder Justizministerium getragen werden.
Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen
Dass es einen enormen Nachholbedarf im Bereich Kinder- und Jugendgesundheit gibt, räumt auch Gesundheitsminister Johannes Rauch ein. Für ihn war die Schulschließung ein Fehler, der hätte vermieden werden können. Umso wichtiger ist es jetzt, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, weshalb im letzten Jahr auch das Projekt „Gesund aus der Krise“ gestartet wurde. Es bietet betroffenen Kindern und Jugendlichen kostenlos, schnell und unbürokratisch psychologische Unterstützung an. Ein weiteres Projekt, das vom Gesundheitsministerium gefördert wird, heißt „Selbstwert – Mädchen und junge Frauen stärken“. Es richtet sich speziell an sozial benachteiligte Mädchen und junge Frauen.
Solche Projekte sind ein Anfang, so die Expert:innen des Sonderberichts. Alle Kinder und Jugendliche sollen eine gesunde und schöne Kindheit haben können, auch in Krisenzeiten.
Für Jonas ist von einem normalen Schulalltag auch nach der Pandemie noch immer keine Rede. Nicht, weil er nicht will, sondern weil er nicht kann. Die Pandemie löste bei ihm Angststörungen und Depressionen aus. Deshalb befindet er sich derzeit in einer der wenigen stationären Therapiezentren und hofft, bald wieder in seinen gewohnten Alltag zurückkehren zu können. Marie ist hingegen wieder zurück in der Schule. Trifft sich mit Freund:innen und ihrer Familie. Die Pandemie hat sie so weit gut überstanden. Nur beim Lernen braucht sie jetzt zusätzliche Unterstützung, weil sie aufgrund des Homeschoolings viel Stoff nachholen muss.
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