vera*: Jemand, der dir glaubt

Im Probenraum, in der Turnhalle und auch am Sportplatz – Belästigung, Gewalt und Machtmissbrauch kommt überall vor. Mit vera* wurde nun eine Vertrauensstelle für Betroffene aus den Bereichen Kunst, Kultur und Sport eingerichtet. Das Ziel: Betroffenen helfen und ein gewaltfreies Klima schaffen.

Wahr, wahrhaftig, aber auch Glaube, Zuversicht und Vertrauen bedeutet der Name Vera. Vera* heißt auch die neue Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport. Eigentlich ist es eine Abkürzung für Vertrauens- und Anlaufstelle. Doch auch die Bedeutungen des Namens Vera beschreibt die Institution treffend. „Dies spiegelt die Haltung der Mitarbeitenden wider, denn bei vera* hört dir jemand zu, der dir glaubt, der dich ernst nimmt, der an die Wahrheit deiner Aussagen glaubt“, lässt das Team von Safe Sport wissen.

Safe Sport ist ein Fachbereich des Vereins 100 Prozent Sport und setzt sich seit Jahren für ein diskriminierungs- und gewaltfreies Klima im Sport ein. Bei vera* ist der Verein für den Bereich Sport zuständig. Anlaufstelle für Betroffene aus Kunst und Kultur ist der Verein Vertrauensstelle. Vera* ist die Dachmarke. Betroffene können sich informieren, werden beraten und wenn notwendig an andere Stellen vermittelt. Ist es zu Vorfällen gekommen beziehungsweise besteht der Verdacht auf Belästigung und Machtmissbrauch werden sie betreut und begleitet. Neben dieser individuellen Fallarbeit will man bei vera* aber auch auf das System einwirken. Organisationen sollen sensibilisiert, ein Bewusstsein für die Problematik geschaffen werden.

Vorfälle zeigen Notwendigkeit

Vera* geht auf einen Entschließungsantrag des Nationalrats zurück. Im März 2021 wurde das Ministerium für Kunst, Kultur, Öffentlichen Dienst und Sport (BMKOeS) dazu aufgefordert, eine Beratungs- und Anlaufstelle für Betroffene von Belästigung und Machtmissbrauch einzurichten. Dass es diese braucht, zeigt die Metoo-Debatte, die vor allem seit 2017 Belästigungs- und Missbrauchsfälle sichtbar macht. In Österreich wurden zuletzt vor allem Vorfälle aus dem Bereich Kunst und Kultur öffentlich. Regisseurin Katharina Mückstein hat auf der Social Media-Plattform Instagram über ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch geschrieben. Daraufhin hat sie zahlreiche Nachrichten von anderen Betroffenen bekommen. Zum Teil hat sie diese anonym veröffentlicht. Die 20-jährige Schauspielerin Luna Jordan hat in ihrer Rede beim Österreichischen Filmpreis erzählt, dass sie bereits viermal Opfer von sexuellem Missbrauch war. Der Standard hat Anfang August seine Recherche zu Belästigung, Gewalt und Machtmissbrauch an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien veröffentlicht. Vor wenigen Tagen wurde ein Gymnastiktrainer zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er Unmündige sexuell belästigt und missbraucht hat. Die ehemalige Schirennläuferin Nicola Werdenigg hat 2017 ihr Schweigen gebrochen. In den 1970er Jahren hat sie Machtmissbrauch selbst erlebt, unter anderem hat sie ein Teamkollege vergewaltigt.

Drei von vier haben Machtmissbrauch erlebt

Bei all diesen Fällen handelt es sich nicht um Ausnahmen, sie sind ein strukturelles Problem. Eine Online-Umfrage des Kulturrat Österreichs offenbart ein erschreckendes Bild: Von 623 Befragten aus Kunst, Kultur und Sport waren bereits 453 betroffen. Damit hat nur jeder Vierte keine Erfahrung mit Belästigung, Gewalt und Machtmissbrauch gemacht. Viele der Befragten waren sogar mehrfach betroffen. Am häufigsten erwähnten die Befragten Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der Geschlechtsidentität. Die europaweite Studie Cases hat den Sportbereich untersucht. In Österreich haben 70 Prozent der Studienteilnehmer:innen als Kinder und Jugendliche Gewalt erlebt. 32 Prozent haben von sexualisierter Gewalt ohne Körperkontakt berichtet, 16 Prozent mit Körperkontakt.

Risikofaktoren begünstigen Grenzüberschreitung

Die Bereiche Kunst, Kultur und Sport sind nicht anfälliger als andere Bereiche für Belästigung und Gewalt. Aber sie weisen Risikofaktoren auf, die Grenzüberschreitungen begünstigen. Prekäre Anstellungsverhältnisse, Abhängigkeiten und Hierarchien. Hinzu kommt, dass Proben und Trainings oft isoliert stattfinden. Gerade im Film- und Theaterbereich arbeitet oft eine Gruppe über einen längeren Zeitraum isoliert an einem Projekt. Kommt es zu einem Vorfall fehlt intern die Vertrauensperson und, sich an eine neutrale Stelle außen zu wenden, ist auch nicht möglich. Im Sport wiederum ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Sportler:in und Trainer:in wichtig. Dieses kann missbraucht werden. Die Angst, dass die Karriere zu Ende sein könnte, wenn man die Vorfälle öffentlich macht, ist groß. Das zeigt auch die Umfrage des Kulturrats: Nur 14 Prozent der Befragten konnten Nachteile für sich ausschließen.

Metoo-Debatte hat Ventil geöffnet

Durch die Metoo-Debatte haben viele Betroffene das lange Zeit Unaussprechliche ausgesprochen. Das Bewusstsein für Belästigung, Gewalt und Machtmissbrauch ist gewachsen. Es wurde erkannt, dass nicht nur daran gearbeitet werden muss, Übergriffe und Grenzüberschreitungen zu verhindern, sondern dass Vorfälle auch aufgearbeitet werden müssen. Anlaufstellen wie #we_do für Filmschaffende und Safe Sport für Sportler:innen tun dies bereits seit Jahren. Im Sportbereich gibt es ein Netzwerk aus 104 Präventions- und Schutzbeauftragten in Vereinen und Verbänden sowie 102 Genderbeauftragte. Vera* ist nun eine weitere wichtige Stelle, die versucht, ein gewaltfreies Klima in Kunst, Kultur und Sport herzustellen. Das Team von Safe Sport plädiert aber auch für Vertrauenspersonen innerhalb der Strukturen. Dafür braucht es die Möglichkeit für Feedback und ein Beschwerdemanagement. „Gewalt ist nicht notwendig, um herausragende Leistungen zu erhalten“, ist man sich bei Safe Sport sicher.

Über die/den Autor:In

Nicole Frisch
Nicole Frisch
Nicole studiert Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Das Ziel: Die Weltpolitik verstehen – und das Verstandene mit möglichst vielen Menschen teilen. Ihren Weg in den Journalismus hat sie über die NÖN gefunden. Ihre Schwerpunkte sind soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Migration und Vergangenheitspolitik.

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