Bubenarbeit: Gespräche gegen Gewalt

Burschen einen Raum geben, um sich zu öffnen. Das ist das Ziel gendersensibler Bubenarbeit. In Workshops können Burschen unter anderem über Männlichkeit, Gewalterfahrungen oder Rollenbilder sprechen.

Es geht ums Reden. Über Gefühle, Rollenbilder, Gleichberechtigung, Gewalt und Sexualität. Und ums Zuhören. Gendersensible Bubenarbeit gibt Burschen einen Raum, um sich zu öffnen. „Vor 20 Jahren ist die Idee gekommen, dass man Burschen nicht alleine lassen sollte, ihnen Gesprächsräume eröffnen sollte“, sagt Pädagoge Philipp Leeb. Er arbeitet beim Verein „poika„. Dort können Buben in Workshops über ihre Erfahrungen sprechen und über Männlichkeit nachdenken. Dabei sollen sie herausfinden, was ihnen selbst guttut, ohne dabei die Bedürfnisse andere Menschen einzuschränken.

Männlichkeit hinterfragen

Traditionelle Männlichkeitsbilder schränken Männer ein. Sie geben vor, wie sie sein müssen und wie nicht. Männer sollen zum Beispiel mutig sein und Schmerzen ignorieren. Sie dürfen keine Gefühle zeigen, denn das sei ein Zeichen von Schwäche. Um ihre Verletzlichkeit nicht zu zeigen, kann es sein, dass sie Mitmenschen verletzen. Gewalt wird oft auch verherrlicht. In Liebesbeziehungen können Frauen Männer verletzlich machen. Zum Beispiel, wenn sie sich trennen wollen, weil sie die Beziehung nicht mehr glücklich macht. Männer, die ihre Partnerin als Besitz sehen, wenden dann häufig Gewalt an. Es ist wichtig, dass Männer Verantwortung übernehmen und gegen Männergewalt aufstehen. Etwas sagen, wenn sie Gewalt im Umfeld wahrnehmen. Dafür braucht es aber Wissen und das eigene Denken und Handeln muss ständig kritisch hinterfragt werden.

Darüber zu sprechen, das ist in den Workshops von „poika“ zentral. Unter anderem darüber, wie Beziehungen gewaltfrei gestaltet werden können. Es gibt Burschen, die gewaltaffin, selbst gewalttätig oder Opfer von Gewalt sind. Es gibt Burschen, die bei Gewalt mitmachen und solche, die nicht mitmachen. Die Mitarbeiter:innen von „poika“ schauen sich in den Workshops gemeinsam mit den Burschen an, was sie unter Gewalt verstehen und wie ihre eigenen Beziehungsbilder ausschauen.

Medien transportieren gewaltvolle Bilder

Medien prägen die Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen. Durch den leichten Zugriff auf sämtliche Medien sind viele von ihnen permanent mit gewaltvollen Bildern konfrontiert. „Wenn wir uns die Medien anschauen und das mit den letzten 50 Jahren vergleichen, dann werden Kinder heute früher mit Formen von Gewalt konfrontiert, die sie selbst nicht verarbeiten können. Für uns Erwachsene mag das vielleicht harmlos erscheinen, aber im Prinzip geht es um die Vernichtung des Gegenübers“, betont Leeb. Als Beispiel nennt er Mangas, die zwar unterhaltsam sind, aber auch das Bild vermitteln, dass man das Gegenüber bekämpfen muss. Positivbeispiele, die zeigen, wie friedliches Zusammenleben funktioniert, vermisst Leeb indes. Problematisch sieht er auch den leichten Zugang zu Pornovideos. „Es ist eine Inszenierung von Sexualität mit Gewaltanwendung. Nicht in der ganzen Pornografie, aber doch in vielen Videos“, hält Leeb fest. Auch hier haben Burschen Probleme, das Gesehene entsprechend zu verarbeiten.

„Wir sind keine Lehrer, die sagen, so ist es. Wir versuchen, über Fragen mit ihnen dorthin zu kommen.“

In den Workshops von „poika“ wird darauf gezielt eingegangen. Was solche gewaltvollen Bilder mit den Burschen machen. Ob sie sie von der Realität unterscheiden können. Generell arbeitet man in der Bubenarbeit mit Fragen. „Wir sind keine Lehrer, die sagen, so ist es. Wir versuchen, über Fragen mit ihnen dorthin zu kommen“, erklärt Leeb. Solche Gespräche gehen dann in die Tiefe, dauern mehrere Stunden. In Übungen müssen die Burschen beurteilen, ob etwas Gewalt oder Diskriminierung ist. Und die Gruppe sei dabei eine wertvolle Ressource. „Wenn ein Schüler sagt, Frauen kann man ruhig schlagen, dann wird es doch einige geben, die sagen, das ist Blödsinn“, erzählt Leeb.

Die Erziehung legt die Basis für ein gewaltfreies Zusammenleben. Dabei kann auch viel schiefgehen. Vor allem, wenn Gewalt innerhalb der Familie eine Rolle spielt. Das kommt häufiger vor, wenn Familien auf engem Raum zusammenwohnen, die finanziellen Mittel nicht reichen und Familienmitglieder drogenabhängig sind. Familien sind aber auch der Ort, an dem Kinder Liebe und Unterstützung in schwierigen Zeiten erfahren. Eltern sollen den Kindern auch Werte vermitteln. „Werte, die global gültig sind“, meint Leeb. So sollen Eltern ihren Kindern lernen, dass sie Konflikte zwar austragen sollen, aber dabei das Gegenüber nicht vernichten dürfen. „Und natürlich, dass die Eltern der Welt offen gegenüberstehen“, sagt Leeb.

Traditionelle Bilder sind bereits aufgebrochen

Bei den Rollenbildern hat sich in der Gesellschaft schon vieles getan. Die traditionellen Bilder sind längst aufgebrochen, so Leeb. Bei Gewalt ist die Gesellschaft viel sensibler und aufmerksamer geworden. „Bei uns schrillen schneller als früher die Alarmglocken, wenn Burschen auffällig laut sind und sich prügeln. Früher hat man gesagt, das ist normal und hat dabei übersehen, dass viele Burschen nicht so sind“, erzählt Leeb. Es haben sich auch neue Rollenbilder etabliert, Menschen können sich ihre Identität freier aussuchen. Oft begegnet man hier immer noch Widerstand. Aber: „Wenn heute ein Bursche gemobbt wird, weil er sich die Fingernägel lackiert, dann gibt es Widerspruch“, hält Leeb fest.

Über die/den Autor:In

Nicole Frisch
Nicole Frisch
Nicole studiert Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Das Ziel: Die Weltpolitik verstehen – und das Verstandene mit möglichst vielen Menschen teilen. Ihren Weg in den Journalismus hat sie über die NÖN gefunden. Ihre Schwerpunkte sind soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Migration und Vergangenheitspolitik.

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