Das Erfolgsgeheimnis von Kattowitz

Von der schwarzen Kohlestadt zum grünen Wirtschaftswunder. Klingt nach Marketingsprech des Tourismusbüros, ist aber im Kattowitz wirklich so passiert. Vor 30 Jahren war die Stadt das Zentrum der polnischen Kohleindustrie. Heute dreht sich in alles um nachhaltiges Wirtschaften, Kultur und E-Sport. Eine Geschichte über einen beachtlichen Wandel und wie er gelungen ist.

Wer im Kattowitz der Nachkriegszeit aufgewachsen ist, kennt das Schichtsystem der Bergwerke genauso gut wie den Takt der Jahreszeiten. In den Nachkriegsjahren arbeiteten fast eine halbe Million Menschen in den Kohlebergwerken der Stadt und ihres Umlandes. Damals spielte die Kohle der Region landesweit eine Schlüsselrolle. Die Wirtschaft Polens lag am Boden, aber die Bergwerke in Kattowitz brachten Geld ein und finanzierten so den Wiederaufbau des zerstörten Landes.

Heute ist Kattowitz eine völlig andere Stadt. Zwischen den alten Fördertürmen der Bergwerke stehen moderne Hochhäuser, Hochschulen und Kulturgebäude. Statt Helm und Grubenlampe prägen Laptops und Headsets den Alltag der jungen Kattowitzer:innen.

Kattowitz in der polnischen Woiwodschaft Schlesien war früher der Inbegriff einer Industriestadt. Heute schaffen IT-Branchenriesen wie IBM und Fujitsu Arbeitsplätze und verändern mit ihren Bürotürmen das Erscheinungsbild der Stadt.
Kaum Arbeitslosigkeit in Kattowitz

Dieser Wandel geschah nicht zufällig. Er war das Ergebnis mutiger Entscheidungen. Nord-Pas-de-Calais in Frankreich, der Central Belt Schottlands und die Region um das tschechische Ostrava. Viele Regionen Europas leiden seit Jahrzehnten am Niedergang ihrer Bergbauindustrie. Sie kämpfen mit hoher Arbeitslosigkeit, Abwanderung und bröckelnder Infrastruktur.

Nicht aber Kattowitz. Die Wirtschaft der Stadt boomt. Die Arbeitslosenquote liegt unter einem Prozent, und das, obwohl durch die Schließung vieler Bergwerke 70 Prozent aller Arbeitsplätze verloren gingen. Wie konnte Kattowitz dieser beachtliche Wandel gelingen?

Kluge Entscheidungen in den Neunzigern

Die 1990er war für Polen ein Jahrzehnt des Umbruchs. Das Land war bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion stark in die zentral gesteuerte Wirtschaft des Ostblocks eingebunden. Die Sowjetunion war ein verlässlicher Abnehmer polnischer Kohle. Gekauft wurde zu politisch festgelegten Preisen, die keinen marktwirtschaftlichen Prinzipien folgten. Mit dem Ende des Kommunismus änderte sich das. Viele Bergwerke in Schlesien begannen Verluste zu machen und mussten schließen. Die Arbeitslosigkeit stieg rasant.

Doch statt den Kohlebergbau künstlich am Leben zu erhalten, ging Kattowitzer Stadtregierung früh einen anderen Weg. Die Verantwortlichen verstanden, dass ein tiefgreifender Wandel der Wirtschaft unvermeidlich ist und dass der am besten mit Anreizen gelingt. Also nahm Kattowitz Geld in die Hand.

Die Stadt finanzierte Förderungen, Steuererleichterungen und baute Infrastruktur und Bildungseinrichtungen. Das Ziel war klar: Die Stadt soll ein attraktiver Standort für zukunftsweisende Branchen werden. Dabei setzten die Verantwortlichen nicht auf einen Wirtschaftszweig, sondern setzten auf mehrere Pferde.  So wurde Kattowitz nach und nach von einer reinen Industriestadt zu einem breit aufgestellten Wirtschaftsstandort mit Fokus auf Dienstleistung, IT, Medizintechnik und Gaming.

Einmal jährlich findet eines der größten E-Sports-Turniere der Welt in Kattowitz statt. Die Veranstaltung bringt nicht nur Tourist:innen in die Stadt, sondern schafft auch Arbeitsplätze in der Gamingbranche.
Gaming-Hauptstadt Europas

Die Entscheidungen von damals haben Kattowitz grundlegend verändert. Wenn junge Menschen Kattowitz hören, denken sie oft nicht mehr an Kohle, sondern an E-Sport. Das sind Wettkämpfe, bei denen Spieler:innen in Videospielen gegeneinander antreten.

E-Sport hat sich in den letzten Jahren zu einem globalen Phänomen mit enormem Publikumsinteresse entwickelt. Und Kattowitz ist mittendrin. Seit 2014 findet dort das Finale der Intel Extreme Masters (IEM) statt, eines der wichtigsten e-Sport-Turniere der Welt. Jedes Jahr kommen Tausende Spieler:innen aus aller Welt nach Kattowitz, und Millionen verfolgen das Event online. Für Kattowitz ist die IEM zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Die Veranstaltung bringt nicht nur Tourist:innen in die Stadt, sondern schafft auch Arbeitsplätze in verschiedenen Branchen.

Kattowitz will seine Rolle als Gaming-Hauptstadt Europas weiter ausbauen. Dafür soll ein Kohlebergwerk renoviert und zum Gaming and Technology Hub umgebaut werden. Die Stadt stellt der wachsenden E-Sport-Branche damit proaktiv Büroräume, Co-Working-Spaces, Aufnahmestudios, Labors, IT-Infrastrukturen sowie Konferenzräume und Bildungseinrichtungen zur Verfügung.

Das Schlesische Museum wurde 2014 auf dem Gelände eines ehemaligen Kohlebergwerks erbaut. Das architektonische Erbe der alten Industrie wurde dabei bewahrt. © Kris Duda, Flickr
Neue Identität durch mutige Investitionen

Ein weiterer entscheidender Faktor für den erfolgreichen Wandel waren Investitionen in erstklassige Kultureinrichtungen. Früher war es die Kohle, die Kattowitz seine Identität gab. Heute ist die Kultur, die in Polen und weit darüber hinaus einen hervorragenden Ruf genießt.

Kattowitz hat seit 2014 eine der besten Konzerthallen der Welt. Die NOSPR zieht mit ihrer ausgeklügelten Akustik die besten Orchester der Welt an, darunter die Wiener Philharmoniker und das London Symphony Orchestra.

Und auch das 2014 errichtete Schlesische Museum ist mittlerweile ein Wahrzeichen der Stadt. Es wurde ebenfalls auf dem Gelände eines Bergwerks errichtet – zum größten Teil unterirdisch. Neue und alte Architektur verbinden sich und spiegeln den Geist der Stadt wider. Der alte Förderturm der Mine wurde durch einen angebauten Lift für Besucher:innen zugänglich gemacht und bietet heute einen Ausblick über die ganze Stadt. Die Konzerthalle NOSPR und das Schlesische Museum geben den Bewohner:innen einen neuen Grund, auf ihre Stadt stolz zu sein.

Die NOSPR zählt dank ihrer exzellenten Akustik zu den fünf besten Konzerthallen der Welt. © Ziemowit Cabanek, Flickr
Gastgeber der Klimakonferenz

Die Ausrichtung der UN-Klimakonferenz im Jahr 2018 in Kattowitz lenkte die Aufmerksamkeit auf Klimaschutz. In den Jahren nach der Konferenz hat die Stadt erhebliche Anstrengungen unternommen, um ihre Klimabilanz zu verbessern. So wurden zahlreiche Gebäude mit Solaranlagen ausgestattet und energetisch saniert. Ehemalige Industrieflächen wurden in Parks umgestaltet und Verkehrsflächen entsiegelt. Auch im Verkehrssektor setzt Kattowitz auf umweltfreundliche Lösungen: Die Einführung neuer Straßenbahnen und Elektrobusse trug zur Reduzierung der Luftverschmutzung bei und fördert eine nachhaltige Mobilität.

Einen wichtigen Schritt für ihre Zukunft ging die Stadt erst vor kurzem. Anfang des Jahres 2025 ist sie der Powering Past Coal Alliance (PPCA) beigetreten. Das ist eine internationale Initiative, die sich für den Abschied von Kohlekraft einsetzt. Damit zeigt Kattowitz, dass es ernsthaft auf eine nachhaltige Zukunft setzt.

Klimapolitisch konservatives Polen

Viele ältere Kattowitzer:innen waren im Bergbau beschäftigt und nennen ihre Stadt bis heute mit Stolz das schwarze Herz Polens.  Kohle ist ein wichtiger Teil ihrer Identität. Polen ist nach wie vor der zweitgrößte Kohleproduzent Europas und hat 2023 noch mehr ein Drittel seines Energiebedarfs mit Kohle gedeckt. 2025 gibt es mit der Zeche Staszic-Wujek auch noch ein letztes aktives Kohlebergwerk in Kattowitz.

Doch Kohle hat in Kattowitz längst nicht mehr die Bedeutung wie in der Nachkriegszeit. Die Stadt ist mutig einen Weg in eine grüne Zukunft gegangen, den andere Teile Polens noch vor sich haben. Während die nationale Politik Polens beim Klimaschutz weiter zögert, zeigt Kattowitz, dass ein geordneter und wirtschaftlich erfolgreicher Kohleausstieg möglich ist. Die Politik muss nur bereit sein, langfristig zu denken und gezielt in den Wandel zu investieren.

Über die/den Autor:In

Markus Englisch
Markus Englisch
Markus studierte TV- und Medienproduktion in Wien. Sein größter Antrieb als Journalist ist es, die Klimakrise für alle Menschen begreifbar zu machen. Zuletzt war er als Redakteur bei PULS 4 tätig und leitete das Nachhaltigkeitsmagazin KLIMAHELDiNNEN.

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