Nerd mit Auftrag

Der Ökologe und Biodiversitätsforscher Franz Essl ist „Wissenschafter des Jahres 2022“.

Am Montag, knapp vor seinem 50. Geburtstag am 14. Jänner, hat er die Auszeichnung des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten für seine Vermittlungsarbeit entgegengenommen. Der Botaniker ist seit Jahren Stammgast in der Liste der meistzitierten Forscher weltweit und einer der wichtigsten Hinweisgeber des Landes in Sachen Artenschutz und Klimawandel. Er ist dafür bekannt, komplexe Materien verständlich zu erklären und vermitteln.

Mit der seit 1994 jährlich durchgeführten Wahl will der Journalistenklub vor allem das Bemühen von Forscherinnen und Forschern auszeichnen, ihre Arbeit und ihr Fach einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen und damit das Bewusstsein für die Bedeutung der heimischen Wissenschaft zu steigern.

Essl sieht die Auszeichnung als sehr große Ehre an und hofft, dass damit auch die Themen Artenverlust, Biodiversitäts- und Klimakrise noch mehr Aufmerksamkeit erfahren. Die Ehrung für „ein, vielleicht sogar DAS gesellschaftliche Zukunftsthema“ zeige, „wie wichtig es ist, sich hier zu äußern“ – auch abseits der Forschung. Der Bereich sollte jedenfalls medial künftig „deutlich mehr Raum bekommen“, betonte Essl.

Dauergast in den renommiertesten Fachjournalen

Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ist der Ökologe jedenfalls Dauergast in den renommiertesten Fachjournalen und publiziert regelmäßig zu den Themen „eingeschleppte Arten“, zur schwindenden Artenvielfalt oder zum Einfluss des Klimawandels auf die Biodiversität.

Unter anderem in seiner Funktion als Mitglied des Österreichischen Biodiversitätsrates wurde Essl auch zu einem der wichtigsten Kommentatoren und Kritiker der heimischen Umweltpolitik. Das Aufzeigen und verständliche Darstellen von komplexen wissenschaftlichen Zusammenhängen, ist ihm schon seit geraumer Zeit ein zentrales Anliegen. Intensiv mit dem Thema Wissenschaftskommunikation hat er sich vor allem während seiner rund 15-jährigen Tätigkeit am Umweltbundesamt und davor drei Jahre beim Umweltdachverband beschäftigt, wie Essl erklärte.

Seine Forschungsarbeit dreht sich vor allem darum, wie Menschen die Welt verändern und welche Auswirkungen „das auf Arten und Lebensräume, letztlich aber auch für uns als Gesellschaft“ hat. Diese Verwerfungen passieren innerhalb kurzer Zeit, was zum rapiden Verschwinden von Arten und Lebensräumen führt. Man müsse sich daher auch überlegen, was „wir als Gesellschaft von einer intakten Natur bekommen und auch brauchen“, so Essl.

Chronist rasanter Veränderungen

Über den Schutz der Umwelt ist der gebürtige Linzer, der auf einem Bauernhof in Oberösterreich aufgewachsen ist, zur Biologie gekommen. Er nehme sich durchaus „teilweise als der Chronist rasanter Veränderungen und in der heutigen Zeit rasanter Verluste“ wahr. Das sei auch ein Anreiz oder vielleicht auch eine Verpflichtung, das nicht nur wissenschaftlich zu untersuchen und neutral zu begleiten, sondern darauf auch hinzuweisen.

Das tut der Forscher durchaus prägnant: So pochte Essl anlässlich der Einigung bei der UNO-Artenschutzkonferenz im kanadischen Montreal Mitte Dezember auf die Umsetzung der kürzlich vorgelegten österreichischen Biodiversitätsstrategie. Artenschutz lasse sich mit einem „streichelweichen Umsetzungsplan“ nicht vorantreiben.

Zuletzt hielt der Ökologe auch einen Vortrag im von Klimaaktivisten der „Erde brennt!“-Bewegung besetzen Hörsaal C1 an der Uni Wien: Es sei ihm wichtig zu zeigen, dass für viele der Anliegen der stark studentisch geprägten Bewegung von der Ebene der Professoren Unterstützung kommt.

Als Wissenschafter im Umweltbereich müsse man sich heutzutage überlegen, ob und wie weit man in gesellschaftlichen Diskussionen mitmischt. Die Vielfalt der Anforderungen habe sich „auf jeden Fall stark verändert“, wie auch das Selbstverständnis vieler Forscher an Debatten aktiv teilzunehmen. All das unter einen Hut zu bringen, sei „eine wahnsinnige Herausforderung“, für die es mehr Unterstützung seitens der Institutionen brauche. Exponiert man sich, „muss man sich schon bewusst machen, dass man damit auch gewisse persönlichen Risiken eingeht“.

Bewusstsein in Politik breiter angekommen

Aufseiten der Politik sieht Essl das Bewusstsein für die tiefgreifenden Umweltveränderungen endlich breiter angekommen: „Die stärksten Einflüsse kommen aber nicht unbedingt aus der Wissenschaft.“ Er bleibe jedoch positiv, dass sich „Beharrungskräfte“ aufbrechen lassen und sich Wege aus der „Übernutzung“ der Umwelt und hin zu einer „massiven Transformationen zu einer viel nachhaltigeren Gesellschaft“ finden lassen.

Die kürzlich vorgestellte Biodiversitätsstrategie gebe hier klare Handlungsanweisungen, etwa für mehr Schutzgebiete hierzulande. Am Geld allein sollte es angesichts von rund sechs Milliarden Euro an umwelt- und klimaschädlichen Förderungen in Österreich nicht mangeln. Im Rahmen des Biodiversitätsrates fordert man daher „eine Biodiversitätsmilliarde“.

Essl vermisst ein „nationales Forschungsprogramm“, das sich den Themen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Klimaschutz, Artenverlust oder den gesellschaftlichen Anpassungsnotwendigkeiten breit widmet. Jeder Euro, der in solche Forschung investiert wird, rentiere sich vielfach, so der Vater zweier Kinder, der auch passionierter Skitourengeher, Kajakfahrer, Kletterer und Hobbygärtner ist. (Red/APA)

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