Wieder ein heißer Tag in Wien. Du biegst in die Alserbachstraße ein und eine kühle Brise weht dir entgegen. Du setzt dich an den Bach unter den Schatten eines großen Baums, hältst deine Füße ins Wasser und klappst dein Buch auf. So lässt sich die Hitze aushalten.
Klingt nach Utopie? Diese Szene muss nicht unbedingt ein Traum bleiben und könnte in nicht allzu entfernter Zukunft Realität werden, wenn es nach Florian Kretschmer und Helene Müller von der Universität für Bodenkultur geht. Die zwei Wasserexpert:innen arbeiten nämlich beim Projekt ProBach. Dabei geht es um die Reaktivierung der Wienerwaldbäche, von denen viele auch noch heute durch Wien fließen – jedoch verborgen im Untergrund. Das soll sich ändern – für Kühlung, mehr Lebensraum und effiziente Nutzung unserer Wasserressourcen. Wir haben den beiden die wichtigsten Fragen rund um das Projekt gestellt und waren bei einem temporären „Schanibach“ bei der Klimabiennale.
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Das Projekt ProBach
Die Expert:innen des Projekts ProBach untersuchen, inwieweit die heutzutage unterirdisch im Kanal fließenden Wienerwaldbäche wieder an die Oberfläche geholt werden könnten, um die Lebensqualität zu steigern und einen Beitrag zur Klimawandelanpassung in der Stadt zu leisten. Dabei geht es auch um temporäre Installationen und die Akzeptanz der Wiener Bevölkerung.
Die Geschichte der Bäche
Früher sind die Wienerwaldbäche oberirdisch durch die Stadt geflossen, aus dem Wienerwald Richtung Donau und Wienfluss. „Das Wasser in der Stadt war damals jedoch nicht sauber, sondern Transportweg für Abwasser und jeglichen Abfall. Das wurde vor allem problematisch, als Pest und Cholera ausbrachen und die Bäche zu Verbreitungswegen von Krankheiten wurden. Zusätzlich haben große Mengen Wasser immer wieder die Stadt überflutet“, erzählt Helene Müller vom Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau (BOKU). All das wollte man in den Griff bekommen, weshalb die Bäche im 18. und 19. Jahrhundert eingehaust oder unterirdisch in den Kanal geleitet wurden. Das war damals durchaus nachvollziehbar. Jetzt, viele Jahre später, sind die Rahmenbedingungen anders. Es gibt eine Kläranlage sowie eine funktionierende Müll- und Abwasserentsorgung. Das Bachwasser ist also sauber, bevor es in das Kanalsystem tritt und es ist möglich, eine Transformation zurück anzustoßen.
Auch heute fließen noch rund 50 Bäche frei im Wiener Wald. An der Grenze zur verbauten Stadt werden zwei Drittel davon jedoch in den Kanal geführt, mit Abwasser vermischt und zur Kläranlage geleitet. Dadurch geht eine wichtige Ressource verloren: Das saubere Bachwasser wird verschmutzt und ist somit nicht mehr nutzbar.
Die Expert:innen wollen die Bäche nun reaktivieren und sie vom Kanalsystem entkoppeln, um sie wieder zugänglich für verschiedene Nutzungen zu machen. Florian Kretschmer, Senior Scientist am Institut für Siedlungswasserbau der BOKU, erklärt: „Wir haben das Problem, dass es in der Stadt immer heißer wird. Es wird momentan sehr viel in Richtung Begrünung gemacht, weil das Grün natürlich kühlt und Schatten spendet. Das Grün braucht aber auch das Blau. Und da kommen die Wienerwaldbäche ins Spiel. Einerseits um das Stadtgrün zu bewässern, andererseits auch als Aufenthaltsraum, als kleines Naherholungsgebiet für die Stadtbevölkerung.“ Zusätzliche Wasserquellen werden in Zukunft nur noch wichtiger werden.
Eine herausfordernde Aufgabe
Die Bäche in Wien wieder an die Oberfläche zu bringen, ist nicht einfach. Dazu müssen sie zuerst wieder vom Kanalsystem und dem Abwasser getrennt werden. Diese Entkopplung am Stadtrand und der Transport an den Ort der Nutzung ist die erste große technische Herausforderung. Die zweite: Die Stadt ist bebaut, die Flächen sind genutzt. Man muss also auch über die Flächen verhandeln, die man für oberirdisch fließende Bäche bereitstellen könnte.
Florian Kretschmer betont: „Es geht dabei vor allem um Verkehrsflächen, die gegebenenfalls umgewidmet werden müssen. Aber auch der Untergrund ist verbaut. Da sind verschiedenste Leitungsträger drinnen und das muss natürlich auch mitberücksichtigt werden.“ Technisch sei jedoch alles möglich, es gibt auch bereits Beispiele aus anderen Städten. Für die Entkoppelung gibt es prinzipiell drei Möglichkeiten. Man könnte den Bach oberirdisch in einem eigenen Gerinne durch die Stadt führen. Das passiert beispielsweise heute schon in Freiburg, Aachen oder Zürich. Oder man vergräbt ein eigenes Rohr, das nur mit Bachwasser oder gegebenenfalls mit anderen wenig verschmutzten Wässern befüllt wird. Dieses Wasser kann in den Rohren dann transportiert und dort an die Oberfläche geholt werden, wo man es nutzen möchte. Die dritte Variante ist eine sogenannte Rohr-in-Rohr Lösung. Dabei kann – wenn der Durchmesser entsprechend groß ist – in das bestehene Kanalrohr ein zweites, kleineres Rohr eingezogen werden, in dem dann das saubere Bachwasser fließt.
Wo könnte bald Wasser fließen?
Die Forscher:innen von ProBach haben sich angesehen, welche dieser Bäche am vielversprechendsten sind. Dabei geht es vor allem darum, ob der Bach ganzjährig Wasser führt. Manche der Wienerwaldbäche trocknen in den heißen Sommermonaten nämlich aus.
„Ganzjährig Wasser führen beispielsweise der Alserbach/Alsbach oder der Eckbach. Ebenso interessant für eine Reaktivierung wäre der Schreiberbach in Döbling oder der Rosenbach bei Hütteldorf. Diese wären besonders gut geeignet“, zählt Florian Kretschmer auf. Helene Müller betont jedoch: „Dass manche Bäche im Sommer trocken fallen, gehört aus ökologischer Sicht einfach dazu. Auch diese muss man nicht unbedingt ausschließen für unseren Zweck – man kann in den Trockenperioden auch mit Wasserspeicherung arbeiten.“ Ebenso wären Drainage-Wässer oder die Einleitung von wenig verschmutztem Regenwasser möglich. Technische Lösungen gibt es für die meisten Probleme.
Oftmals wird erwidert, das Bachwasser werde im Kanal gebraucht, damit alles gut weggeschwemmt wird und sich keine Rückstände anhäufen. Das sei laut Florian Kretschmer jedoch kein gültiges Argument, da wir selbst genug Abwasser durch Spülkästen, Duschen und Abwasch produzieren würden. Eine zentrale Frage sei aber, wer für die Instandhaltung der Bäche verantwortlich sein wird.
Steigende Hochwassergefahr!?
Ob durch mehr oberirdisch fließende Bäche auch die Hochwassergefahr in Wien steigen würde? Laut Helene Müller ist das Risiko von einst heute nicht mehr gegeben. „Natürlich muss man diesen Aspekt berücksichtigen. Im Moment gehen die Bäche ins Kanalsystem und der Kanal ist in der Lage, es abzutransportieren. Diese Möglichkeit würde man durch eine Reaktivierung ja nicht verschwinden lassen. Bei Hochwasser kann das zusätzliche Wasser trotzdem über das Kanalsystem abgeleitet und somit die Sicherheit gewährleistet werden.“ Außerdem schaffe man durch oberirdische Fließstrecken und Begrünung auch zusätzlichen Retentionsraum. Das Wasser kann dann oberflächlich gespeichert werden und das Kanalsystem im Hochwasserfall sogar entlasten.
Kosten vs. Nutzen
„Was das kosten würde, ist sehr umsetzungsspezifisch. Es hängt davon ab, auf welche Art man das Wasser entkoppelt und wie weit man es transportieren will. Kann ich es oberirdisch transportieren oder unterirdisch? Brauche ich ein neues Leitungsnetz oder kann ich es in bestehende Kanalröhren integrieren?“, erklärt Florian Kretschmer.
Für die Expert:innen überwiegt aber der Nutzen: Ein Liter Abwasser oder Trinkwasser hat einen gewissen Preis. Mit der Reaktivierung kann man auf der einen Seite Wasser aus dem Kanal und damit von der Kläranlage fernhalten. Gleichzeitig kann man für die Bewässerung statt Trinkwasser Bachwasser verwenden und somit auf beiden Seiten Einsparungseffekte erzielen. „Es geht um Naherholung, um Abkühlung. Wir wollen urbanen Hitzeinseln entgegenwirken, die Aufenthaltsqualität steigern und eine zusätzliche Wasserquelle schaffen. Es geht um’s Ressourcen sparen und um Kreislaufwirtschaft, um Biodiversität und zusätzliche Ökosysteme in der Stadt“, fasst Helene Müller zusammen.
Heute noch sichtbar
Hinweise auf die Flüsse findet man auch heute noch, wenn man aufmerksam durch Wien spaziert. „Fährt man mit der Straßenbahn vom Elterleinplatz Richtung Gürtel, wundert man sich vielleicht, warum die Straßenbahn hier jetzt nicht gerade fährt. Das ist deswegen, weil die Schienen genau über dem Alserbach gebaut wurden. Wenn manche Straßen nicht so gerade sind, wie man annehmen wollte, oder wenn manche Häuser nicht aneinandergebaut wurden, dann sind das Hinweise, dass dort früher ein Gerinne war.“, erläutert Florian Kretschmer.
Namen wie die Alserbachstraße, die Alszeile, die Krottenbachstraße oder die Bachgasse sind weitere Hinweise, dass dort unterirdische Bäche fließen. Ebenso „Maria am Gestade“ (bedeutet so viel wie „am Gewässer“) – dort ist ursprünglich der Otterkringerbach vorbeigeflossen. „Ein weiteres Beispiel ist die U6-Station Thaliastraße. Die ist tiefer gelegen als die nachfolgende Burggasse und die vorliegende Josefstädter Straße, weil da früher das Bachbett des Ottakringerbaches war.“
Akzeptanz der Bevölkerung
Im Laufe des Projekts gab es immer wieder temporäre Installationen wie auf der Klimabiennale und Befragungen der Menschen vor Ort. Dafür wurden mit Paletten und solarstrombetriebenen Wasserpumpen Abschnitte eines Baches simuliert und die Teststrecken für die Wiener Bevölkerung zugänglich gemacht. Laut den beiden Expert:innen war das Feedback sehr positiv, da die Leute die Nähe zum Wasser suchen und sich nach Erholungsräumen sehnen. Wichtig dabei seien aber auch genügend Beschattung und gute Sitzgelegenheiten am Bach.
Wie geht es weiter?
Das Projekt ProBach läuft noch ein Dreivierteljahr. Am Ende werden alle Erkenntnisse zusammengeführt und ein Leitfaden erarbeitet, auf den man aufbauen kann – in Wien, aber auch in anderen Städten Österreichs.
Was den Forscher:innen am meisten Freude bereitet hat? „Die Menschen zu sehen, die (Anm.: bei den temporären Installationen) im Wasser springen und die es einfach sehr gut annehmen“, meint Helene Müller. Florian Kretschmer schließt sich dem an: „Das positive Feedback gibt einfach Mut zum Weitermachen.“
Er meint abschließend: „Das Interesse ist da, in Wien und an anderen Orten in Österreich. Aber es ist natürlich ein langfristiger Prozess notwendig, wenn wir wirklich neue blau-grüne Infrastruktur in Städten schaffen wollen.“ Es brauche Planung und die passenden politischen Rahmenbedingungen (die Grünen in Hernals fordern beispielsweise bereits seit 2020 die Reaktivierung des Alserbachs).
Im Prinzip gehe es darum, dass Städte wie Wien lebenswert bleiben. Florian Kretschmer: „Wien soll für die Bewohner:innen ein schöner Ort sein, soll aber auch für die Pflanzenwelt, für die Tierwelt in der Stadt lebenswert sein. Und wenn das angenommen wird, dann ist das natürlich für ein Forschungsprojekt ein schöner Output – dass eben die Theorie in der Praxis auch mal ankommt.“