Einst wurde er aus weiten Teilen Europas vertrieben, ja nahezu gänzlich ausgerottet. Man sagte ihm nach, er sei gefährlich. Dabei wollte er nur selbst überleben. Seine Anzahl schrumpfte und plötzlich gab es nur noch wenige Wölfe in Europa. Jetzt ist er wieder da und sorgt für Aufmerksamkeit. Einige Menschen freuen sich, andere haben Angst und wollen ihn verjagen. Doch eines scheint klar: Der Wolf ist gekommen, um zu bleiben. Die Frage ist jetzt nur, wie wir Menschen mit ihm umgehen.
Wie kein anderes Tier löst der Wolf in unserer Kultur zugleich Ängste als auch Faszination aus. Das zeigt sich durch Märchen wie „Rotkäppchen“ oder „Der Wolf und die sieben jungen Geißlein“. Sein Image ist böse und gefährlich. Mit der wachsenden Landwirtschaft im 18. Jahrhundert wurde aus dem bösen Wolf zudem eine existenzielle Bedrohung für Hab und Gut. „Viele Leute hatten damals nur wenige oder nur ein Nutztier, an dem ihre gesamte Existenz gehangen hat. Wenn das vom Wolf gerissen worden ist, hat das schnell zu großen Konflikten geführt“, erklärt Christian Pichler vom WWF. In dieser Zeit sind auch viele Wälder für Siedlungs-, Weidenflächen und Agrarland abgeholzt worden. Weniger Wald bedeutet weniger Beutewild und Lebensraum für den Wolf. „Viele sahen im Wolf nicht nur eine Gefahr für das Überleben, sondern auch einen unmittelbaren Konkurrenten ums Wild“, erzählt Albin Blaschka, Geschäftsführer vom Österreichzentrum Bär, Wolf, Luchs (kurz ÖZ). Das führte so weit, dass zu Beginn des 19. Jahrhundert das einst meistverbreitete Säugetier der Erde in Europa nahezu gänzlich ausgerottet war.
Die Rückkehr des geschützten Raubtiers
Über 150 Jahre galt der Wolf in weiten Teilen Europas als ausgerottet. Durch die 1992 erlassene Flora-Fauna-Habitat Richtlinie, die vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten schützt, konnte sich die Wolfs-Population langsam wieder erholen. „Das gesamte 20. Jahrhundert hat es in Österreich immer wieder vereinzelt Sichtungen gegeben. Doch erst 2009 konnte zum ersten Mal nachgewiesen werden, dass wieder mehrere Wölfe in Österreich leben. Damals haben wir auch begonnen, genetische Informationen zu sammeln“, erklärt Albin Blaschka. Für die genetischen Informationen werden Proben aus Kot, Urin und Haaren gesammelt sowie Speichelproben auf frisch getöteten Wild- oder Nutztieren. Mithilfe dieser Daten können Aussagen getroffen werden, wie viele Tiere in Österreich leben, wie groß ihre Reviere sind und wo sie hergekommen sind. Das ÖZ fasst mit Unterstützung des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie diese Daten österreichweit zusammen und präsentiert sie in regelmäßig aktualisierten Wolfs-Verbreitungskarten.
„Wichtig ist es, wieder zu erlernen, wie Beutegreifer und Mensch nebeneinander existieren können“
Laut dem Österreichzentrum Bär, Wolf, Luchs gibt es mit Stand August 2022 in Österreich etwa 50 Wölfe. „Trotz einiger Rudel ist der Großteil der Wölfe Jungtiere auf Wanderschaft. Das heißt, wir gehen von rund 50 Wölfen aus, die sich zumindest eine Zeit lang im Jahr 2022 bis jetzt in Österreich aufgehalten haben“, erklärt Blaschka. Im Vergleich zu den Nachbarländern wie beispielsweise Italien, wo aktuell 3.300 Wölfe leben, ist das eine relativ geringe Anzahl. „Die Menschen hier sind nicht mehr an die Präsenz der großen Beutegreifer gewöhnt. Das ist natürlich ein fruchtbarer Nährboden für Ängste, Panikreaktionen und Ablehnung“, so Wolfsexperte Christian Pichler. Österreich befindet sich inmitten verschiedener Wolfspopulationen. Das heißt, auch durch das Abschießen einzelner Wölfe kann seine Rückkehr nicht aufgehalten werden. Wichtig ist es deshalb wieder zu erlernen, wie Beutegreifer und Mensch nebeneinander existieren können. Denn vor allem Bäuer:innen raubt die Angst vor dem Wolf den Schlaf. Nicht ganz unverständlich, denn die Zahl der Wölfe nimmt aktuell stark zu. Innerhalb der letzten drei Jahren hat sich diese verdoppelt. Mit 64.000 Nutztieren auf Österreichs Almen kann das leicht zu Konflikten führen. Laut dem ÖZ hat es dieses Jahr rund 500 Risse von geschützten wie ungeschützten Nutztieren gegeben. Umso wichtiger sind deshalb gezielte Herdenschutzmaßnahmen.
Effektive Herdenschutzmaßnahmen
Jede Weide, jede Alm und jeder Viehbetrieb muss einzeln beurteilt werden. Denn es braucht auf das jeweilige Weidegebiet zugeschnittene Maßnahmen für einen größtmöglichen Herdenschutz. Zu den effektivsten Maßnahmen gehören mobile Elektrozäune, Nachtpferchen, Herdenschutzhunde und Hirten, die die Weideführung kontrollieren und organisieren. „Einen hundertprozentigen Schutz kann es nicht geben. Jedoch dort, wo Herdenschutzmaßnahmen zum Einsatz kommen, nehmen die Übergriffe stark ab“, erklärt der Wolfs-Experte vom WWF. Allerdings gilt das vorwiegend für größere Viehherden und für Weideflächen im Tal. „In Österreich, vor allem in Kärnten und Tirol, haben wir sehr viele kleine Almen mit kleinen Schafherden. Einen Hirten den ganzen Sommer dort hinaufzuschicken, können sich viele Kleinbauern, die ihre Schafzucht oft nur als Nebenerwerbstätigkeit betreiben, nicht leisten. Das ist ein großes Problem, für das es noch keine einheitliche Lösung gibt“, erklärt Blaschka.
Der Umgang mit dem Wolf
Denn hat der Wolf erst einmal eine leicht zu erbeutende Herde entdeckt, bleibt es oft nicht bei einem Schafriss. „Ein Wolf kann nicht zwischen Nutztier und Wild unterscheiden, er sucht sich die leichteste Beute“, erklärt Blaschka. Wenn das allerdings zu häufig vorkommt und der Wolf gelernt hat, wo und wie er Nutztiere leicht erbeuten kann, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Nutztiere zu schützen. Was mit dem „Problemwolf“ passiert, unterliegt der Jagdbehörde des jeweiligen Bundeslandes. Das heißt: Jeder Vorfall wird einzeln geprüft und anschließend wird entschieden, ob der Wolf vergrämt, das heißt beispielsweise durch Gummikugeln oder Leuchtraketen verschreckt werden soll oder nur noch eine Entnahme, also ein Abschuss des Tieres möglich ist. Eine tatsächliche Entnahme wird nach Überprüfung allerdings sehr selten angeordnet. Extrem wichtiger ist es, so Christian Pichler, dass die jeweiligen Landesregierungen die Zeit bis zur nächsten Almsaison nutzen, um gemeinsam mit den Bäuer:innen den Herdenschutz stärker zu fördern und Hirt:innen auszubilden. „Gezielte Herdenschutzmaßnahmen schützen Schafe auch vor Krankheiten und Unwettern, den mit Abstand häufigsten Todesursachen während der Almsaison“, erklärt der WWF-Experte. Wie ein effektives Wolfsmanagement ausschauen könnte, hat das ÖZ in einer Empfehlung zusammengestellt.
Gute Gründe, dass der Wolf zurück ist
Viele Menschen sehen die Rückkehr des Wolfes mit gemischten Gefühlen. Die Debatte darüber ist sehr emotionsgeladen und Forderungen nach Abschussgenehmigungen der geschützten Tiere werden laut. Neben Angst und Besorgnis gibt es aber auch die Freude über die Rückkehr des Wolfes. Er gilt nämlich als ein wichtiger und unverzichtbarer Teil unseres heimischen Ökosystems. Im Rudel jagt der Wolf vorzugsweise alte oder kranke Tiere. Deshalb wird er auch als die Gesundheitspolizei des Waldes bezeichnet. Durch das natürliche Ausselektieren wird der Wildbestand fit gehalten und die Anzahl der Tiere reguliert. Das ist wichtig für den Baumnachwuchs in unseren heimischen Wäldern. Viele Wildtiere wie Rehe oder Hirsche fressen am liebsten die Knospen von jungen Bäumen und anderen Pflanzen und hindern sie dadurch am Wachsen. Kippt das Gleichgewicht, hat das Auswirkungen auf die Entwicklung unserer Wälder. „Aktuell gibt es in Österreich noch zu wenig Wölfe, dass man ihren Einfluss auf das Wild bemerken würde. Doch grundsätzlich spielt der Wolf für die Gesundheit des Waldes eine essenzielle Rolle“, so Pichler. Wölfe sind zudem dem Menschen gegenüber sehr scheu. Wirklich gefährlich werden sie nur, wenn sie krank sind oder an Hunger leiden. Eine Begegnung zwischen Mensch und Wolf ist laut Biolog:innen nicht auszuschließen, aber sehr unwahrscheinlich.
„Die Verantwortung liegt bei uns allen!“
Für Albin Blaschka ist es wichtig, dass es zu einem Umdenken in der gesamten Gesellschaft kommt. „Damit eine friedliche Koexistenz mit dem Wolf überhaupt funktionieren kann, ist es wichtig, dass nicht nur Wolf, Schafe und Bauern etwas verändern. Wir alle müssen etwas tun“, so Blaschka. Laut dem Experten braucht es Aufklärung. Angefangen damit, dass sich das Bild des Wolfes in der Gesellschaft ändert. „Der Wolf ist kein bösartiges Raubtier, er ist aber auch kein Kuscheltier – wie alle Tiere auf der Alm oder im Wald. Wir Menschen müssen endlich lernen, ihnen auch dementsprechend gegenüberzutreten und beispielsweise auf der Alm den eigenen Hund nicht freilaufen zu lassen. Oder durch Gebiete zu gehen, die gerade abgesperrt sind. Denn ein Wolf kann Schilder oder Absperrungen nicht lesen oder erkennen, wir Menschen aber schon“, erklärt Blaschka. Deswegen ist es für ihn essenziell eine ganzheitliche Lösung zu finden. Der Wolf ist gekommen, um zu bleiben. Es liegt nun an uns, zu lernen, mit ihm friedlich zusammenzuleben.