Die Globalisierung, der Klimawandel und der Rückgang der Artenvielfalt öffnet neue Nischen, in die Lebewesen drängen, die dort eigentlich nicht hingehören. Sogenannte gebietsfremde Arten oder „Neobiota“.
Einfluss nimmt zu
In seinem neuesten veröffentlichten Bericht weist der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) eindringlich auf diese Problematik hin. So listet das Gremium über 37.000 Neobiota auf, von denen 3.500 als „invasiv“ – also als Gefahr – gelten. Deren Einfluss hat zuletzt rasch zugenommen. „Es geht steil nach oben“, und es gebe keine Veranlassung, warum sich der Prozess umkehren sollte. Im Gegenteil: Bis zum Jahr 2050 rechnen die Forscher mit 36 Prozent neuen gebietsfremden Arten. „Wir haben ein Riesenproblem“, das noch zu wenig Aufmerksamkeit erhalte, erklärte auch Sven Bacher von der Universität Freiburg (Schweiz) und Leitautor des Kapitels „Ökologische, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen“ in dem Bericht. An der neuen Analyse arbeiteten weltweit Expert:innen über Jahre hinweg. Der Bericht zeigt überdies, dass bei mehr als 60 Prozent ausgestorbener Arten einer Spezies Neobiota beteiligt waren. In manchen Fällen waren sie sogar die Hauptursache. Invasive, gebietsfremde Arten sind demnach einer der Haupttreiber des Artenverlusts, des Verlusts von Ökosystemleistungen und letztlich von wichtigen Voraussetzungen für das wirtschaftliche oder gesundheitliche Wohlergehen von uns Menschen.
Die Ausbreitung ist sichtbar
Bei uns deutlich sichtbar wird das Phänomen etwa für Wanderer, denen das hochwachsende, ursprünglich aus Asien stammende und als Zierpflanze eingeführte Drüsige Springkraut den Blick auf Flüsse erschwert, für Pollenallergiker, denen das aus Nordamerika kommende Ragweed die Heuschnupfensaison verlängert, oder für Landwirte, denen in den vergangenen Jahrzehnten eingeschleppte Schädlinge Ernteausfälle bescheren. Das Phänomen kann sich also auch auf die Ernährungssicherheit auswirken. Die meist über die immer engeren globalen Handelsnetze in neue Gefilde gelangten Tiere, Pflanzen oder Pilze finden vielfach auch im Zuge der Erderhitzung in für sie neuen Gegenden gute Lebensbedingungen vor. In Österreich zählt man mittlerweile mehr als 2.000 invasive Arten.
Die Ausbreitung ist problematisch
So etwa auch die aus Nordamerika stammende Robinie. Der Baum sorgt etwa im Nationalpark Donauauen für die Zerstörung wertvoller Blumenwiesen. Auch der Maiswurzelbohrer breitet sich hierzulande aus. Befällt er Maispflanzen, bringt das große wirtschaftliche Schäden mit sich. Ebenso hat es sich die Asiatische Tigermücke in unseren Breiten gemütlich gemacht. Sie gilt als möglicher Überträger von 20 verschiedenen Krankheitserregern. Die zunehmende Verbreitung der Quagga-Muschel in Österreichs Seen ist ein weiteres prominentes Beispiel für eine invasive Art mit großen regionalen Auswirkungen. Auch die niedlich anzusehenden Einwanderer aus Nordamerika namens Waschbär oder Amerikanischer Nerz bringen in vielen Bereichen Probleme.
Verdrängen diese Arten nämlich einheimische Tier und Pflanzen und gestalten Ökosysteme massiv um, spricht man von einer biologischen Invasion. Die negativen Auswirkungen derartiger Entwicklungen würden die eher spärlichen und meist regional beschränkten positiven Effekte jedenfalls bei weitem überwiegen, erklärte der ebenfalls in die Erstellung des mehr 1.000-seitigen Papiers eingebundene Bernd Lenzner vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Uni Wien.
Gegenmaßnahmen hinken Realität hinterher
Mit einer Zusammenfassung wendet sich der Weltbiodiversitätsrat vor allem an Politiker und die breitere Öffentlichkeit. Man wolle mehr Aufmerksamkeit auf das weltweit auftretende Problem lenken – auch um zu zeigen, dass man gegen die bisher nahezu ungehemmte Ausbreitung etwas tun kann. Bei uns in Österreich, wo 32 der zur Zeit 88 auf einer offiziellen EU-Liste geführten invasiven Tier- und Pflanzenarten vorkommen, könne man viel tun. Insgesamt „haben nur 20 Prozent aller Länder wirklich eine starke Gesetzgebung zu invasiven Arten“, sagte Essl, der hier die „Invasionsverordnung“ der EU aus dem Jahr 2015 hervorhebt. Sie listet zumindest einige Arten auf, deren Ausbreitung beispielsweise durch Importverbote eingehegt werden soll, und über die die Mitgliedsstaaten auch Rechenschaft ablegen müssen. „Die Umsetzung der Verordnung in den Ländern hinkt aber den Ansprüchen hinterher. Das gilt auch für Österreich, würde ich meinen“, so Essl, der auch die verteilten Zuständigkeiten hierzulande bei Natur- und Artenschutz als ein großes Problemfeld ansieht. Die größten Eindämmungschancen bieten sich jedenfalls, wenn potenzielle gefährliche Neobiota rasch erkannt und bekämpft werden. Prävention und Arten-Screening listet auch der Bericht als die kostengünstigsten und wirkungsvollsten Maßnahmen auf, betonte Lenzner. Man müsse die Anfangsphasen der Entwicklungen besser erkennen und nützen. Je später man Gegenmaßnahmen ergreift, desto schwieriger, teurer und weniger erfolgversprechend wird es. (APA/RED)
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