Österreichs höchste Busstation liegt auf 2.750 Metern. FREDA hat mit jenem Busfahrer gesprochen, der die Station seit 27 Jahren ansteuert. Dank ihm kommt man auch ohne Auto in den Genuss der Kaunertaler Hochgebirgswelt.
Zwei Schneeketten montiere er in unter sechs Minuten, erzählt Wolfgang Unterkircher. „Trotz der dünnen Luft dort oben.“ Eine beachtliche Leistung, immerhin wiegt eine Kette 13 Kilogramm. Zeit zum Üben hatte er mehr als genug, denn er fährt seit 1. Juli 1995 täglich durch hochalpines Gelände. Wolfgang Unterkircher ist Lenker auf der Postbuslinie 230 – und stolz darauf.
Schneegestöber, Blitzeis und Lawinen
Die rund 40 Kilometer lange Strecke führt auf den Weißenseeferner Gletscher im Tiroler Kaunertal. Dort oben, in unglaublichen 2.750 Metern, liegt Österreichs höchste Busstation. Der Weg hinauf ist ein echtes Abenteuer, vor allem im Winter. Ein strenger Wintertag kann Schneegestöber, Blitzeis und Lawinen bringen. Aber die Fahrgäste seien bei ihm in guten Händen, versichert er. Er kennt die Strecke mit all ihren Tücken in- und auswendig. Noch nie ist jemand die Gletscherbuslinie so lange gefahren wie er.
1.920 Höhenmeter spart man sich mit seinem eigenen Fahrzeug, wenn man mit Wolfgang Unterkircher nach oben fährt. So viel Steigung kostet Kraftstoff, aber auch Nerven. Besonders schwierig sei der Abschnitt im sogenannten Schnapsloch, erzählt Unterkircher. Dort sind die engsten Kurven und die Straße liegt den ganzen Tag im Schatten. Nur allzu oft bleiben Fahrzeuge hier im Schnee stecken. „Mit der Betriebsanleitung auf der Motorhaube müssen die Liegengebliebenen dann die Schneeketten montieren“ schildert der gebürtige Tiroler. Das passiert ihm nicht mehr. Er weiß schon im Tal, ob er oben die Ketten braucht. Und eine Betriebsanleitung braucht er dafür schon gar nicht.
Wenn die Busfahrt zur Alpensafari wird
Keine Frage. Anspruchsvoll ist sie, seine Strecke. Aber vor allem „wunderschön und ein richtiges Naturerlebnis“, schwärmt Wolfgang Unterkircher. Er ist stolz auf seine Arbeit und will seinen Fahrgästen etwas bieten. Erst vor ein paar Tagen hat er mit seinem Bus am Weg nach oben angehalten. „Um den Leuten zwei Murmeltiere zu zeigen“, erzählt er lachend. Die hätten direkt neben dem Bus ihre Hälse aus einem Erdloch gereckt. Die Murmeltiere faszinieren ihn nach so vielen Jahren immer noch. Und diese Faszination will er weitergeben. Wer selbst mit dem Auto fährt, könne ja überhaupt nicht in die Landschaft schauen, sagt er. Und dort gibt es viel zu sehen. Neben der majestätischen Berglandschaft und den Murmeltieren auch Gämsen, Steinböcke und Hirsche. Eine Alpensafari sei eine Fahrt mit ihm, lacht Unterkircher.
Die Gletscher ziehen sich zurück
Die Kaunertaler Gletscherstraße wurde 1980 errichtet, um die Gletscher für den Skisport zu erschließen. Vor allem für die Sommermonate. Jänner bis März war das Skigebiet sogar geschlossen. Heute ist das anders, erzählt Wolfgang Unterkircher. Er erinnert sich noch gut daran, wie er auch im Sommer die Skifahrer:innen rauf gebracht hat. Das war vor 2004. Seitdem hat das Skigebiet in den Sommermonaten geschlossen. „Es gibt einfach zu wenig Schnee“, schildert Unterkircher. Er erinnert sich noch an „riesige Eisberge“, die sich direkt vor seinem Bus aufgetürmt haben. In den 27 Jahren, die Unterkircher auf den Gletscher fährt, hat sich das Eis weit zurückgezogen. Das stimmt ihn traurig. Besonders in Erinnerung geblieben sei ihm ein Sommertag letztes Jahr. „24 Grad haben wir da oben auf 2.750 Metern gehabt. Das ist brutal. Das hat es früher einfach nicht gegeben.“
Gletscher als Fieberthermometer der Alpen
Die Zahlen zeigen, dass Wolfgang Unterkircher recht hat. Laut der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) ist der diesjährige Juli unter den zehn heißesten Julimonaten seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Alpen erwärmen sich im Zuge der Klimakrise doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt. Und dieser Umstand lässt sich nirgends besser ablesen als am Rückzug der Gletscher. Rund 4.000 gibt es davon in den Alpen, 900 alleine in Österreich. Im Jahr 2050 werden sie alle verschwunden sein, vermutet die Klimaforschung.
Nur wenige Kilometer von Wolfgang Unterkircherns Busstation entfernt liegt der Hintereisferner, einer von Tirols größten Gletschern. Er hat alleine heuer fünf Prozent seiner Masse verloren. So viel wie nie zuvor. Das belegen Zahlen der Universität Innsbruck.
Das lässt auch Wolfgang Unterkircher nicht kalt. Er hängt an den Bergen, die er täglich durch die Windschutzscheibe sieht. Doch so oder so – eine Strecke irgendwo in der Stadt wäre nichts für ihn. Er will bis zu seiner Pension hinauf zum Weißenseeferner fahren. Und zumindest eine Tatsache stimmt Unterkircher optimistisch. Die Busse seien deutlich voller als früher, erzählt er. Alleine heute Morgen habe er 29 Leute nach oben gebracht. Wenn mehr Leute ihr Auto im Tal stehen lassen, ist schon ein Schritt in die richtige Richtung getan. Wolfgang Unterkircher hofft, dass dieser Trend anhält.
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