Der Wasserstand im Neusiedler See sinkt von Jahr zu Jahr. Letzten Sommer hat er den niedrigsten Stand seit 1965 erreicht. Ob Fremdwasser in ihn eingeleitet wird, ist noch ungewiss. Tourismus und Landwirtschaft müssen aber auf jeden Fall umdenken.
Windsurfer:innen, Tretboote und hin und wieder auch Fähren tauchen regelmäßig am Horizont auf. Im Sommer ist noch viel los am Neusiedler See. Doch das Wasser wird weniger. Wenn man regelmäßig am See ist, kann man das auch mit eigenen Augen mitverfolgen. Zum Beispiel im Strandbad Weiden am See. Besonders gut zeigt sich das im Kinderbadebereich. In diesem planschen nicht nur kleine Kinder herum, viele nutzen den flachen Zugang zum See auch, um mit ihren Stand-Up-Paddle-Boards ins Wasser zu kommen. Anfang Juni war der Weg ins Wasser noch nicht allzu weit. Ende August musste man dann schon eine Weile über kleine heiße Steine staksen, bis die Füße vom Wasser umspielt wurden.
So niedrig wie zuletzt 1965
Dass das Wasser des Sees weniger wird, zeigt sich auch in Zahlen: Mit 115 Metern über der Adria wurde im Juli 2022 der niedrigste Stand seit 1965 erreicht. Wasserschwankungen und komplettes Austrocknen gehören zum Neusiedler See dazu. Mehr noch: Sie sichern sein Überleben. Ein- bis zweimal pro Jahrhundert ist der Steppensee in seiner 13.000-jährigen Geschichte ausgetrocknet. Im 20. Jahrhundert allerdings kein einziges Mal, daher ist uns dieser Prozess nicht so bewusst.
Mittlerweile hängt sehr viel am See. Der Tourismus genauso wie die Landwirtschaft. Was also tun? Die Grünen Burgenland haben eine Fachtagung organisiert, um sich mit „ökologisch sinnvollen Optionen für die Zukunft“ der Region Neusiedler See zu beschäftigen.
Künstliche Wasserzufuhr umstritten
Einig waren sich die Expert:innen an diesem Abend nicht immer. Vor allem bei der Frage, was mit dem Wasser im See passieren soll. Während sich Bernhard Kohler, Biologe und Artenschutzexperte beim WWF, vehement gegen eine künstliche Wasserzufuhr aus der ungarischen Moson-Donau ausspricht, hält Biologe Georg Wolfram, der auch ein Gutachten für die burgenländische Landesregierung erstellt hat, eine Zufuhr in einem bestimmten Ausmaß für möglich.
„Der See braucht gelegentliche Austrocknungsereignisse für sein langfristiges Überleben.“
Kohler spricht sich dafür aus, den See seinem natürlichen Schicksal zu überlassen. Das heißt: austrocknen. „Der See braucht starke Wasserstandschwankungen, gelegentliche Austrocknungsereignisse und einen ausreichenden Salzgehalt für sein langfristiges Überleben“, betont Kohler. Er befürchtet, dass durch die Zuleitung der Salzhaushalt des Sees gestört wird. Das Salz in Kombination mit der geringen Wassertiefe und ständigen Windbewegungen sorgt dafür, dass winzige Mineralteilchen in der Schwebe bleiben. Das macht das Wasser trüb und verhindert, dass sich Algen bilden. Sinkt der Salzgehalt, wird das Wasser klarer und Algenbildung begünstigt. Diese Trübeteilchen tragen auch dazu bei, dass totes organisches Material abgebaut wird, bevor es den Seeboden erreicht und zur Schlammbildung beiträgt. Eine künstliche Wasserzufuhr würde laut Kohler daher bedeuten, dass der See womöglich noch schneller verlandet, weil mehr Schlamm entsteht. Die Trockenphasen sind auch notwendig, damit sich der Schlamm an der Luft zersetzen kann.
Wasserzufuhr mit Zufluss aus Wulka vergleichbar
Laut Wolfram würde jedoch nicht so viel Wasser aus der Moson-Donau in den Neusiedler See geleitet werden, damit die von Kohler beschriebenen Szenarien eintreten. Um die 30 Millionenen Kubikmeter Donau-Wasser sollen den Pegel des Sees um zehn Zentimeter pro Jahr anheben. Zum Vergleich: Aus der Wulka, die in den See mündet, kommen jährlich 20 bis 30 Millionen Kubikmeter. „In diesem Ausmaß verträgt der See eine Wasserzufuhr“, erklärt Wolfram. Gleichzeitig hält er aber auch fest: „Man kann den See nicht in alle Richtungen drehen und manipulieren, so wie wir das wollen.“ Durch die Zuleitung würde das Wasser im See erhalten bleiben, was gut für das Mikroklima und das Ökosystem ist. Der See wäre dennoch weiterhin auf Niederschlag angewiesen.
Sinkendes Grundwasser macht Landwirtschaft zu schaffen
Die Region Neusiedler See wird sich also unweigerlich verändern. Doch was bedeutet das für all jene, die vom See leben? Josef Umathum ist Winzer in Frauenkirchen. Die Landwirt:innen verwenden zwar nicht das Wasser aus dem Neusiedler See, um ihre Felder zu bewässern. Trotzdem brauchen sie den See. Indem das Wasser des Sees verdunstet, entsteht das für die Region typische mediterrane Klima. Der Landwirtschaft macht zu schaffen, dass das Grundwasser immer mehr sinkt und Niederschläge ausbleiben. Umathum führt dazu auch ein Weintagebuch auf seiner Homepage. Im letzten Beitrag vom 23. Jänner heißt es: „Während der Süden Österreichs im Schnee versinkt, zeigt sich das Wetter im Nordosten Österreichs sonnig und weiterhin zu trocken. Im Burgenland fehlt es an wertvollem Nass und vor allem fehlt der Schnee, der den geschrumpften Vorrat an Grundwasser wieder auffüllen könnte.“
Landwirtschaft muss Wasser sparen
Für die Landwirtschaft heißt es also: umdenken. „Es wird existentiell notwendig sein für die Landwirtschaft, mit dem vorhandenen Wasser sparsam und sparsamer umzugehen“, sagt er. Man wird sich am mediterranen Raum orientieren müssen. Nicht nur beim Wasserverbrauch, sondern auch bei den Kulturen, die man künftig anbauen wird. Mais benötigt viel Wasser und wird daher keine Zukunft haben. Roggen hingegen kommt mit wenig Wasser aus und ist ertragreich. Hier wird es Förderungen von staatlicher Seite brauchen, meint der Winzer.
Die Böden müssen so bewirtschaftet werden, dass sie mehr Wasser speichern können. Zum Beispiel, indem man den Boden begrünt oder Kompost aufbringt. Der Seewinkel muss zudem aufgeforstet werden. In den letzten 60 Jahren wurden Windschutzgürtel rausgerissen und Sümpfe trockengelegt. Fehler, die man jetzt spürt. Damit sich etwas ändert in der Landwirtschaft, müssen alle zusammenarbeiten. „Wir sitzen alle in einem Boot. Solange Wasser da ist, können wir noch rudern. Wir müssen zusammenarbeiten. Es geht nur mit Solidarität“, betont Umathum.
See als Dreh- und Angelpunkt für Tourismus
Um Veränderungen wird auch der Tourismus nicht umhinkommen. Zwar kommen immer weniger Gäste, um im Neusiedler See zu baden – an Schwimmen ist aufgrund des niedrigen Wasserstandes ohnehin nicht mehr zu denken. Doch viele Touristiker:innen sind sich einig, dass der See Dreh- und Angelpunkt für den Tourismus ist. Die Radfahrer:innen kommen wegen der Landschaft, die vom See geprägt ist. Ebenso die Weinliebhaber.
„Ein ausgetrockneter See ist nicht sehr attraktiv für die Gäste.“
Das hat auch Victoria Schreiner beobachtet. Sie betreibt eine Ferienwohnung in Rust. „Viele Touristen wollen nicht baden, aber am See sein. Die meisten wollen Radfahren und Fährverbindungen nutzen“, beschreibt sie ihre Beobachtungen der letzten Jahre. Auch Schiffrundfahrten nutzen die Gäste gerne. „Ein ausgetrockneter See ist wahrscheinlich nicht sehr attraktiv für den Großteil der Gäste. Man bekommt den Klimawandel im Urlaub vor Augen geführt“, meint Schreiner. Sie ist sich aber sicher, dass man neue Tourismuskonzepte finden wird, damit die Menschen auch weiterhin in die Region kommen. Sie fordert aber, dass diese gemeinsam mit Betroffenen ausgearbeitet werden.
Das Naturerlebnis wird wohl ein Faktor sein, der in Zukunft wichtiger werden wird. Bereits jetzt hat es einen großen Anteil am Tourismusaufkommen, lässt Tourismusexperte Alois Lang wissen. Im Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel gibt es nicht nur die außergewöhnliche Steppenlandschaft zu betrachten, sondern auch ihre Artenvielfalt. Von verschiedensten Vogelarten bis hin zu den Przewalski-Pferden, die in Illmitz ausgewildert wurden.
Salzlacken trocknen aus
Reich an Artenvielfalt sind auch die Salzlacken im Seewinkel. Aufgrund der Trockenheit werden aber auch sie immer weniger. Im Nationalpark trifft man immer öfter auf kahle, ausgetrocknete Flächen als auf wasserreiche Lacken, in denen sich unterschiedliche Vögel tummeln. Wurden 1855 noch 139 Lacken gezählt, kam man 2020 nur noch auf 27 bis 30. Damit sind nur noch 18 Prozent der Flächen vorhanden. Noch drastischer: Allein zwischen 1986 und 2020 hat die Zahl der Lacken um 20 Prozent abgenommen. „Wir dürfen nicht nur das fehlende Wasser im See thematisieren, sondern müssen auch schauen, was es heißt, wenn wir so mit den Lacken umgehen“, gibt Lang zu Bedenken.
Man wird sich auch neue Mobilitätskonzepte für Radfahrer:innen überlegen müssen, wenn der Wasserstand so niedrig ist, dass sie nicht mehr mit der Fähre zwischen Mörbisch und Illmitz pendeln können. „Wir müssen uns anschauen, wie wir einen Plan B oder mehrere entwickeln“, sagt Lang. Dabei wird es auch notwendig sein über die Landesgrenzen hinauszublicken und zu schauen, was andere Tourismusregionen, die mit Trockenheit zu kämpfen haben, tun.
Es braucht ein Umdenken
Die Region Neusiedler See wird sich in den nächsten Jahren verändern. Mit dem Ausbaggern von Schlamm, um den Wasserspiegel zu heben, wie es derzeit in Rust und Mörbisch passiert, wird sich das vermutlich nicht verhindern lassen. Es sind noch viele Fragen zur Zukunft des Sees offen. Aber es wird ein Umdenken brauchen. Und die Fachtagung hat gezeigt, dass es bereits Menschen gibt, die sich mit neuen Lösungen auseinandersetzen. Ob Donauwasser in den See geleitet wird oder dieser austrocknet, wird sich noch zeigen. Doch die Menschen müssen unabhängig davon weitermachen.